Stachel der Erinnerung
Worten nach, war es doch genau das, was sie wollte. Das, was sie sich so sehnlich wünschte – ein Mann, der mehr als ein bisschen Spaß im Sinn hatte.
„Danke, das ist sehr nett …“, begann sie im Tonfall, als biete er ihr ein Stück Buttercremetorte an – und sie wäre Diabetikerin.
„Sehr nett?“, wiederholte er verständnislos. „Tessa, verdammt, es ist mir ernst. Ich bin der Ansicht, dass wir es miteinander versuchen sollten.“
Obwohl schon ihr Zögern allein Antwort genug war, rückte sie ein Stück von ihm weg und räusperte sich. „Nick, schalt um Himmels willen einen Gang zurück. Ich bin diejenige, die klammert.“
„Davon merke ich nichts“, gab er verstimmt zurück und hörte selbst, dass er sich anhörte wie ein quengelnder Fünfjähriger. „Wie stellst du dir das Weitere vor?“
„Wir müssen uns um Meldis kümmern und sicherstellen, dass ihr nichts passiert. Auch wenn du sie freigibst“, entgegnete sie wie aus der Pistole geschossen.
„Gut, ich werde mir etwas überlegen. Bis dahin bleibt die Verlobung aufrecht und ich werde mich Meldis regelmäßig widmen.“ Er schwang die Beine aus dem Bett, stand auf und nahm seine Hose vom Boden. „Zieh dich an. Ich bringe dich nach Hause.“
vierundzwanzig
Tessa wechselte den Korb von der rechten in die linke Hand. Sie hatte am Markt Eier und Rüben gekauft. Sie war spät dran, da Meldis erst nach langem Überlegen eingefallen war, dass sie Eintopf mit gekochten Eiern wollte. Die Marktweiber packten bereits zusammen und die Kundschaft hatte sich ebenfalls zerstreut.
Als sie an Serres Haus vorbeikam, das neben dem Jarlspalast lag, musste sie unwillkürlich Atem holen.
Was für eine Nacht! Was für ein Erlebnis! Wenn Nick nur nicht alles durch sein seltsames Verhalten verdorben hätte. Zwar war es sehr rücksichtsvoll von ihm, sie trösten zu wollen, da er von ihrem Problem wusste. Aber ausgerechnet die Karte mit der großen Liebe zu spielen, war bei jemandem wie ihm, der seine Frau lange über den Tod hinaus betrauerte, einfach zu viel des Guten. Zu dick aufgetragen.
Glücklicherweise durchschaute sie seine Strategie und zu ihrer Erleichterung sah sie in ihm trotzdem noch immer nicht den heiß ersehnten Märchenprinzen. Vielleicht schaffte sie es ja tatsächlich, eine von diesen lockeren, sexuell motivierten Beziehungen zu haben, von denen Berit immer erzählte.
Sie eilte frohgemut die Hauptstraße entlang, als ihr ein Reiter entgegenkam. Das Pferd war so groß wie ein kleiner Elefant. Tessa trat instinktiv an den Straßenrand, doch dann starrte sie den Reiter aus weit aufgerissenen Augen an. Ihr Atem stockte, aber sie irrte sich nicht. Das lange schwarze Haar, die bronzefarbene Haut, die ärmellose Lederweste ... Kaldak. Kaldak ritt gerade die Straße zum Jarlspalast entlang. Ohne Hast. Ohne Eile. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
In Tessas Kopf stolperten die Gedanken übereinander. Was tat er hier? Er sollte in einer Hütte im Wald sitzen. Weit, weit weg von Meldis. Warum hielt er sich nicht an die Regeln? Sollte sie zu Nick laufen? Sollte sie Meldis warnen? Sollte sie ein Ei nach Kaldak werfen? Keine dieser Ideen war der absolute Bringer.
Am längsten erwog sie, sich an Nick zu wenden, aber sie wusste nicht einmal, wo er sich im Augenblick befand. Dann entschied sie sich, zu Meldis zurückzukehren und zu verhindern, dass das Mädchen das Haus verließ und Kaldak traf. Nick konnte sie später aufsuchen. Wenn er Kaldak vorher begegnete, dann wusste er wenigstens, was Sache war. Sie hatte ihm ja schließlich den Namen von Meldis’ Mörder genannt.
Also setzte sie eilig ihren Weg fort. Meldis saß am Webstuhl. Sie hatte schon am Morgen angefangen, ihn auf seine Funktionsfähigkeit zu untersuchen und Kettfäden aufzuziehen. Noch von ihrem ersten Aufenthalt wusste Tessa, dass Meldis am Weben nicht nur Freude hatte, sondern wunderschöne Muster und Motive anfertigen konnte. Sie hoffte, dass sich Meldis den Rest des Tages damit beschäftigen würde. Als sie das Haus betrat, wandte sich das Mädchen kurz um. „Hast du alles bekommen?“
„Eier, Rüben und Buchweizen“, antwortete Tessa und stellte den Korb auf einen Hocker. Sie versuchte so unbefangen wie möglich zu wirken und summte vor sich hin, als sie die Rüben putzte. Dabei drehten sich all ihre Überlegungen nur um das überraschende Auftauchen von Kaldak.
Nick saß mit Ole und drei anderen Männern zusammen. Sie beratschlagten, wer zum König
Weitere Kostenlose Bücher