Stadt Aus Blut
war.
1977 sah ich die Ramones im CBGB. Fantastisches Konzert. Ich war besoffen, stoned und auf Speed. Auf dem Herrenklo wollte mir ein Typ im Anzug den Schwanz lutschen. Er bot mir zwanzig Dollar dafür. Es war eine andere Zeit, damals. Fette, hässliche Anzugtypen durchstreiften die Szene, immer auf der Suche nach Frischfleisch. Ich mochte es, wenn ich einen geblasen bekam. Und das Geld war das Sahnehäubchen.
Er knöpft meine karierte Hose auf und kniet sich hin, nicht ohne vorher ein Taschentuch auf dem Boden auszubreiten, damit er sich den Anzug nicht ruiniert. Durch die Wand höre ich, wie Joey und der Rest der Band gerade »Now I Wanna Be A Good Boy« anstimmen. Ich komme in seinen Mund. Er steht auf und will mir noch einen Zwanziger geben, wenn ich ihm einen blase. Wir einigen uns darauf, dass ich ihm einen runterhole. Er gibt mir den Zwanziger, und schon ist meine Hand in seiner Hose. Er schmiegt sich an mich und lehnt den Kopf an meinen Hals. Ich wichse ihn zum Takt der Musik und denke an den Schnaps und die Drogen, die ich mir für die vierzig Piepen kaufen kann. Dabei bin ich so zugedröhnt, dass ich erst nach ein paar Sekunden merke, dass er mehr vorhat, als mir nur einen Knutschfleck zu machen. Als ich anfange zu schreien, hat er mir schon ein Loch in den Hals gebissen.
Der Typ war schlampig. Er hat mich einfach auf dem Boden liegen lassen. Hat sich nicht die Mühe gemacht, meine Wunde zu verbergen oder mich zur Ader zu lassen, um sich ein bisschen Blut für später aufzuheben. Einfach nur ein beschissener Partygänger auf der Suche nach dem billigen Kick. Die Leute, die pissen mussten, stiegen über mich hinweg. Damals war es nichts Besonderes, wenn jemand auf dem Klo des CBGB zusammenbrach. Auch nicht, wenn er blutete wie ein Schwein. Ich weiß nicht, wie lange ich dort lag, bis Terry Bird mich fand. Er hob mich auf und trug mich durch die Menge nach draußen. Wahrscheinlich wollte er mich einfach nur verschwinden lassen, aber dann bemerkte er, wie viel Leben noch in mir steckte und nahm mich mit zu sich nach Hause.
Ich hing ungefähr drei Jahre lang mit Terry ab. Er erzählte mir von den Clans und wie sie Manhattan unter sich aufteilen; sich darum kümmern, dass niemand Wind von der ganzen Sache bekommt und die Vampyre weiterhin ein Geheimnis bleiben. Und er erzählte mir von der Koalition.
Früher beherrschte die Koalition die ganze Insel. Bis auf das West Village – das gehört von alters her der Enklave. In den Sechzigern änderte sich die Situation dramatisch. Der Hood hatte alles jenseits der 110th Avenue unter seine Kontrolle gebracht, und Terry gründete die Society, die sich die East Side von der 14th bis zur Houston unter den Nagel riss. Somit war die Südspitze Manhattans vom Rest des Koalitionsgebiets getrennt; inzwischen gehört sie kleineren Clans und Unabhängigen. Was die Außenbezirke wie Staten Island, Brooklyn, Queens und die Bronx angeht: der reinste Dschungel. Keiner weiß, was die Wilden dort im Busch treiben, und es interessiert auch niemanden. Das Kerngebiet gehört immer noch der Koalition. Sicher, in den Sechzigern bekamen sie ganz schön eins reingewürgt und mussten Federn lassen, aber sie kontrollieren noch immer das Gebiet von der 14th bis zur 110th und von Fluss zu Fluss.
Sie sind so mächtig, weil sie so viele sind. Jeder Vampyr kann sich ihnen anschließen und bekommt einen bestimmten Platz zugewiesen. Je mehr er für die Koalition tut, desto mehr Blut erhält er. Daher rührt ihre Macht: aus ihrem scheinbar unerschöpflichen Blutvorrat, den sie von irgendwoher bekommen. Sie versorgen dich, damit du nicht unabhängig wirst und auf eigene Faust jagst. Aber nur, solange du dich an ihre Regeln hältst. Und ihre wichtigste Regel ist die Unsichtbarkeit. Sie versuchen nur dann, Einfluss auf die Welt der Uninfizierten auszuüben, wenn es dem Clan und seinen Interessen dient. Oder, wie es Terry ausdrücken würde: den Interessen des Sekretariats.
Neben der Geschichte der Clans weihte mich Terry auch in seine eigenen Pläne ein. Er will alle Clans vereinen und an die Öffentlichkeit treten. Natürlich wird das nicht klappen, solange die Koalition existiert. Und die speist ihre Macht aus ihrem großen, geheimen Blutvorrat. Eine Zeit lang kämpfte ich mit für die große Sache, uns alle unter einem Banner zu vereinigen, uns gemeinsam einen Platz im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verschaffen, um dort genau wie die normalen Menschen unsere unveräußerlichen Grundrechte
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