Stadt Aus Blut
an dem Eiswürfel in ihren Fingern. Für mich ist sie undurchschaubar: Kein Van Helsing, definitiv kein Renfield, und für eine richtige Lucy fehlt ihr die Schlampigkeit. Aber sie ist etwas Besonderes, das spüre ich. Ich stürze den Rest meines Drinks hinunter.
– Zwei Dinge noch.
– Bitte.
– Wie heißt der Detektiv, der sie letztes Mal gefunden hat?
– Chester Dobbs.
– Oha.
– Kennen Sie ihn?
– Nur vom Hörensagen. Warum haben Sie ihn nicht noch einmal beauftragt?
– Das haben wir, um ehrlich zu sein. Erst versprach er, uns zu helfen, aber am nächsten Tag rief er an und sagte, er hätte einfach zu viel Arbeit.
Kann man sich einen Privatdetektiv vorstellen, der einen Auftrag von so stinkreichen Leuten wie den Hordes ablehnt? Niemals.
Sie schaut mich an.
– Was noch?
– Hmm?
– Zwei Dinge, sagten Sie.
– Ach ja. Wo hat er sie beim ersten Mal gefunden?
Sie zerbeißt den Eiswürfel, an dem sie gelutscht hat.
– In einem verlassenen Gebäude. Eine Schule oder so etwas. Irgendwo auf der Avenue B oder der Ninth. Sie hauste dort mit ein paar anderen Kids im Keller.
Ich setze eine Miene auf, als hätte mir gerade jemand in die Eingeweide getreten.
– Alles in Ordnung, Joseph? Fehlt Ihnen etwas?
Kein Händeschütteln, keine Verabschiedung. Ich pfeife auf die Etikette. Nur schnell raus hier und in ein Taxi.
Sie ist es nicht. Im Taxi nach Downtown sehe ich mir das Foto genauer an. Amanda Horde ist mit Sicherheit nicht der Zombie, den ich vorgestern Nacht erledigt habe. Gott sei Dank.
Die Schule sieht genauso aus wie in der Nacht zuvor. Vor dem verbarrikadierten Eingang parken die Bullen und halten nach Freaks Ausschau. Diesmal stellt die Wand ein etwas größeres Hindernis dar, weil meine gebrochenen Rippen noch nicht vollständig verheilt sind. Die Tür auf dem Dach steht einen Spalt weit offen. Dieselben Graffiti, dieselben Ratten, derselbe Geruch. Ich betrete den Tatort im Erdgeschoss.
Die Duftspuren sind etwas schwächer, aber deutlich auszumachen, plus diejenigen von Tom und Hurley. Die seltsamen blinden Stellen, die ich gestern entdeckt habe, sind verschwunden. Aber der Moschusgeruch hängt unverändert in der Luft, diese beunruhigende Mischung aus Schweiß und Sex. Doch deswegen bin ich nicht hier. Ich will das Mädchen finden.
Ich verlasse den Tatort und suche einen Zugang zum Keller. Dort ist es stockdunkel. Ich schließe die Augen und fühle, wie sich meine Pupillen erweitern. Dann folge ich der Treppe hinab in ein kompliziertes Gewirr aus Schatten.
Hier riecht es anders. Staub und feuchter Beton mit Spuren von Heizöl und ranzigem Schweiß. Durch die Tür am oberen Ende der Treppe dringt ein schwacher Lichtstrahl. Vage kann ich in der Finsternis einige Umrisse ausmachen. Ich zwänge mich an einem Stapel Pappkartons vorbei, die mit vermoderten Schulbüchern gefüllt sind. Hinter einer Ecke stoße ich auf die Tür zum Heizraum, aus dem der Ölgeruch strömt. Und ein ganzes Bukett menschlicher Düfte, von denen ich jedoch nicht sagen kann, wie alt sie sind. Der Schweißgeruch wird stärker, als ich einen ehemaligen Umkleideraum betrete. Die meisten der Spinde wurden entfernt, aber in einer Ecke befindet sich etwas, das nach einem Haufen schmutziger Suspensorien riecht.
Ich würde lieber völlig unbemerkt bleiben, aber ohne eine Lichtquelle wird mich das hier unten eine ganze Nacht kosten. Mit geschlossenen Augen schalte ich meine kleine Maglite ein und drehe so lange daran, bis der Lichtstrahl möglichst schwach und diffus ist. Erst dann öffne ich meine Augen zu kleinen Schlitzen. Die Beleuchtung mag für normale Augen dürftig sein, mir jedoch kommt sie wie Flutlicht vor. Ich strecke den Arm mit der Taschenlampe aus. Sollte jemand auf mich schießen, wird er hoffentlich meine Hand erwischen statt meinen Bauch.
Jetzt habe ich ein paar visuelle Anhaltspunkte und kann die Gerüche leichter zuordnen. Der alte Schweiß in der Umkleide wird von ein paar frischeren Spuren überlagert, denen ich folge. Ein paar Schritte weiter finde ich mich in einem Lagerraum wieder, der als Fixertreff gedient hat.
Der Boden ist übersät von gebrauchten Nadeln, Schokoriegelpapieren und leeren Crackfläschchen. Einige Pappkartons mussten anscheinend als Matratzen herhalten. Hier sind die Gerüche viel frischer. Der chemische Geschmack von Heroin und Crack. Pisse. Scheiße. Billiger Zigarettentabak. Getrocknetes Blut an verschiedenen Stellen auf dem Boden. Nichts Ungewöhnliches für eine
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