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Stadt Aus Blut

Stadt Aus Blut

Titel: Stadt Aus Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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gefunden hat. Sie wollte Aufmerksamkeit erregen. Nicht, dass wir sie vernachlässigt hätten. Aber sie hat uns eben gern erschreckt. Auch in der Öffentlichkeit, in Museen oder Geschäften. Am Anfang sind wir noch in Panik verfallen und haben sie verzweifelt überall gesucht. Irgendwann haben wir kapiert, dass es nur ein Spiel war, und beschlossen, einfach abzuwarten, bis es ihr langweilig werden und sie von selbst wieder auftauchen würde. Aber nicht mit Amanda. Einmal habe ich einen ganzen Tag bei Bergdorfs verbracht, bis wir sie schließlich in einem Kleiderständer gefunden haben – nachdem der Laden schon geschlossen hatte. Aber, Joseph, sie blieb immer in der Nähe. Sie wollte sich nur verstecken und uns beobachten, wie wir nach ihr suchten. Letzten Sommer ist sie dann wirklich abgehauen. Nicht so weit, wie wir dachten, aber weit genug. Ihr Verschwinden hat uns überrascht – mich und meinen Mann –, weil sie dieses Spiel schon eine ganze Weile lang nicht mehr gespielt hatte. Als wir endlich begriffen haben, dass sie wirklich weggelaufen war, haben wir unser Haus in der Innenstadt durchsucht, dann die Wohnung in den Hamptons und auch unser Anwesen am Hudson River. Nach zwei Tagen war sie noch immer spurlos verschwunden. Wir dachten an eine Entführung und schalteten die Polizei ein. Aber wir erhielten keine Lösegeldforderung. Die Behörden waren keine große Hilfe, um ehrlich zu sein. Nach ein paar Tagen heuerten wir einen Privatdetektiv an. Mein Mann hatte schon ein paarmal mit ihm zusammengearbeitet. Zwei Wochen später hat er sie gefunden. Sie hauste im East Village. Campen nennen das die Kids. Sie ziehen sich ihre ältesten Klamotten an, leben auf der Straße und betteln. Schlafen im Park und tun so, als seien sie obdachlos, soweit ich das verstanden habe.
    Ich nicke. Es stimmt, nicht wenige Kinder aus reichen Familien hausen im Sommer in der Gegend um die Avenue A. Wenn die richtigen Obdachlosen herausfinden, wer sie sind, prügeln sie ihnen die Scheiße aus dem Leib und schicken sie dann zu Mami und Papi nach Hause.
    Marilee nimmt einen Schluck und spielt wieder mit den Eiswürfeln.
    Ich grunze leise. Sie blickt auf.
    – Ja?
    – Verzeihung, aber das Verschwinden Ihrer Tochter scheint Ihnen keine großen Sorgen zu bereiten.
    Sie nickt.
    – Wie gesagt passiert das nicht zum ersten Mal, und es ist erst ein paar Tage her. Noch dazu wissen wir, dass es ihr gut geht.
    – Wie das?
    – Sie hat Geld von ihrem Konto abgehoben.
    – Das kann jeder mit ihrer Bankkarte und der PIN-Nummer.
    – Am Anfang hat sie auch die Karte benutzt. Aber die letzten beiden Male hat sie das Geld persönlich von der Bank abgeholt. Sie war es zweifelsfrei. Man muss einen Ausweis vorlegen.
    – Wo und wann hat sie zum letzten Mal was abgehoben?
    – Vor zwei Tagen, in der Chase Bank Ecke Broadway und Eighth.
    – Wie viel?
    – Zweihundert.
    – Wie viel kriegt sie maximal?
    Tausend Dollar die Woche, aber nie mehr als zweihundert am Tag. Für Beträge darüber hinaus benötigt sie meine Unterschrift – oder die meines Mannes.
    – Und seit sie weg ist, hat sie jeden Tag zweihundert abgehoben?
    – Ja. Erst mit ihrer Karte, und dann, wie gesagt, persönlich in der Bank. Vielleicht hat sie die Karte verloren.
    – Okay. Haben Sie ein Foto dabei?
    – Ja.
    Sie öffnet eine Handtasche in der Farbe ihres Kostüms und fischt ein Foto heraus.
    Amanda hat die Augen und den Hals ihrer Mutter, aber damit hört die Ähnlichkeit auch schon auf. Sie trägt Schwarz von Kopf bis Fuß. Dickes, weißes Make-up im Gesicht, schwarz gefärbtes Haar, schwarzen Lippenstift, schwarzen Lidschatten, schwarzen Nagellack. Heilige Scheiße, das Mädchen ist ein Gruftie. Marilee bemerkt meinen Gesichtsausdruck.
    – Ja, Amanda hegt ein gewisses Interesse an den Untoten. Sehen Sie, Joseph, deswegen habe ich Sie eingeschaltet.
    Ich schaue auf und blicke ihr in die Augen. Marilee lächelt sanft.
    Ich wurde geoutet. Dexter Predo hat mich geoutet.
     
    Eine Frau in Marilees Liga hat natürlich eine gewisse Ahnung davon, wie das Spiel läuft; sie weiß, dass die Mächtigen und Einflussreichen Manhattans einander hinter den Kulissen zuarbeiten in wechselseitigem Geben und Nehmen. Und für eine gewisse Art von Gefälligkeiten hat sich auch die Koalition bei ein paar wenigen Leuten außerhalb der Clans einen Namen gemacht. Aber die Tatsache, dass mich Predo ihr gegenüber geoutet hat, zeigt, dass sie in der Hierarchie der Eingeweihten um etliches höher steht, als

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