Stadt Aus Blut
an.
– Ja, klar.
Ich habe schon meine Hand ausgestreckt, um das Foto wieder in Empfang zu nehmen, als ich innehalte.
– Was?
– Sie war nicht auf der Suche nach Arbeit. Sie ist nur immer hier rumgehangen und hat auf ihre Freundin gewartet.
– Ihre Freundin?
– Ja, das Mädchen, das... Sie wissen schon. Whitney.
Ich stelle ihr noch ein paar Fragen, dann gehe ich zur Tür, in den Frachtaufzug, der mich nach unten bringt.
Nur weg von hier.
– Wenn Sie irgendetwas brauchen, Mr. Pitt, dann wissen Sie ja, wo Sie mich finden können.
Ich gehe wortlos aus der Tür und versuche, nicht daran zu denken, wie gut sie riecht. Appetitlich.
Ich rauche erst mal eine.
Die beiden kannten sich. Natürlich kannten sie sich. Die ganze Scheiße stinkt doch zum Himmel.
Missy konnte mir nicht viel sagen. Sie erzählte mir, dass die kleine Horde fast jedes Mal mitkam, wenn Whitney Aufnahmen machte. Sie wartete im Empfang, las Zeitschriften oder telefonierte mit ihrem Handy. Sie wusste, wenn Chubby mitgekriegt hätte, dass sich eine Minderjährige auf seiner Etage herumtreibt, wäre er stinksauer geworden. Aber Missy ließ sie gewähren, weil sie Amanda für Whitneys kleine Schwester hielt. Erst später fand sie heraus, dass sie Freundinnen waren, die nur so taten, als wäre Whitney Amandas vergötterte große Schwester.
Ich rauche noch eine und blicke auf die Uhr. Es ist noch nicht spät. Erst Mitternacht.
Chester Dobbs Büro befindet sich an der Ecke 14th und First Avenue. Die Adresse finde ich in den Gelben Seiten, die ich mir aus einem Schnapsladen borge, wo ich mir eine Flasche Old Crow kaufe. Mit der Flasche in der obligatorischen braunen Papiertüte gehe ich über die Straße. Der Schnaps ist wie Medizin. Manchmal können der scharfe Geschmack und das leichte Brummen im Schädel gegen den Hunger helfen – ungefähr so wie ein paar Schokoriegel einem Junkie, der auf Turkey ist.
Als ich den Tompkins durchquere, spricht mich eine junge Pennerin an.
– Hey?
Ich vermeide es, sie anzuschauen.
– Ich hab kein Kleingeld.
– Hab auch nicht danach gefragt, Arschloch.
– Schnaps kriegst du auch nicht.
– Will ich auch nicht.
Sie geht immer noch neben mir her.
– Also?
– Hast du Leprosy gesehen?
Jetzt schaue ich sie an. Sie ist dreckig, zerlumpt und dem Babyspeck noch nicht entwachsen. Sie trägt Springerstiefel und ein Rollins for President- T-Shirt. Eine schwere Kette führt von einem Ohrloch zu einem Ring in ihrer Oberlippe. Sie kann nicht älter als sechzehn sein.
– Nein.
– Hector hat gesagt, du hättest gestern mit ihm geredet.
– Ich kenne keinen Hector.
– Er sagt...
– Keine Ahnung, wer das sein soll.
– Ich meine ja nur. Lep und ich hängen fast jede Nacht miteinander rum, und ich hab ihn seit Sonntag nicht gesehen. Wär mir ja scheißegal, aber er hat noch Zeug von mir, und wenn er jetzt eine andere fickt, dann will ich’s wiederhaben.
Sie lügt. Ich kann das Salz der Tränen riechen, die sich in ihren Augenwinkeln sammeln.
– Ich hab ihn nicht gesehen.
– Aber wenn du...
– Werd ich nicht.
– Schon gut, Arschloch.
Sie geht immer noch neben mir her.
– Was noch?
– Kann ich doch einen Schluck haben?
Die Flasche ist noch fast voll. Ich gebe sie ihr. Sie hat sie nötiger als ich.
Privatdetektive haben keine festen Arbeitszeiten. Ich hätte Dobbs auch vorher anrufen können, aber da ich sein Büro ohnehin etwas genauer unter die Lupe nehmen will, ist es mir egal, ob er da ist oder nicht. Das Schloss an der Eingangstür ist lächerlich. Ich muss mich nur mit der Schulter dagegenwerfen, schon springt es auf. Es gibt weder einen Empfang noch einen Fahrstuhl, nur eine schmutzige Eingangshalle. Dort erfahre ich auf einem handgeschriebenen Schild, dass sich sein Büro im dritten Stock befindet, gemeinsam mit dem American-Flag-Reisebüro und der DBT-Theateragentur. Scheint, als würden die Hordes keine Kosten scheuen, wenn es darum geht, ihre Tochter zu finden.
Während ich hinaufgehe, konzentriere ich mich auf die Geräusche des Gebäudes. Es ist totenstill, aber das sollte es eigentlich nicht sein. Normalerweise kann ich immer irgend welche Computer surren hören, einen Ventilator, der vergessen wurde abzuschalten, jemanden, der spät in der Nacht noch Notizen aufs Papier kritzelt, oder wenigstens Ratten in den Wänden. In einem Büro im zweiten Stock hustet jemand. Das ist alles, was ich hören kann. Ich habe das Vyrus nicht gefüttert, und jetzt schlägt es
Weitere Kostenlose Bücher