Stadt Aus Blut
Augen.
– Tom hat dich besucht, wie ich sehe.
– Ung-hung.
– Jetzt die Füße.
Ich drehe mich auf den Rücken und strecke die Beine aus. Die Krämpfe sind unerträglich.
– Au.
– Halt’s Maul.
Ich schließe die Augen und nicke. Sie befreit mich von meinen Fußfesseln und setzt mich wieder auf den Stuhl.
– Kannst du gehen?
– Ungh.
– Schlappschwanz.
Sie packt mich an den Schultern und stellt mich wieder auf die Beine.
– Kannst du gehen?
Anstatt ihr zu antworten versuche ich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Prompt falle ich wieder hin. Sie geht neben mir in die Hocke.
– Joe, das ist deine letzte Chance. Tom ist besoffen, Hurley ist auf der Jagd, und gleich geht die Sonne auf. Reiß dich zusammen.
Sie fischt das Foto aus meiner Jackentasche und hält es mir vor die Nase.
– Du musst das Mädchen finden, Joe.
Sie zerrt weiter an mir herum. Ich versuche zu stehen.
– Los doch.
Sie führt mich am Arm durch den Raum.
– Ich werd so tun, als ob du die Tür eingetreten und mich dann überwältigt hättest. Da sind die Schlüssel.
Ich stehe am Fuß der Treppe, die zur Straße führt. Es sind sehr steile Stufen.
– Wird nicht sehr überzeugend wirken. Aber Tom wird mir keinen Ärger machen. Dafür kennt er mich zu gut.
– Hurlehungh?
– Der wird dir ohne Anweisung von Terry nichts tun. Los jetzt.
Ich krieche die Stufen hoch. Sie hält mir die Stahltür auf.
– Bluuuhd?
– Ich habe keins hier. Geh heim, nimm was von deinem Vorrat, aber halt dich nicht zu lange in deiner Wohnung auf. Sie werden nach dir suchen. Und jetzt hau ab. Los.
Sie schiebt mich durch die Falltür auf die Straße. Dann zupft sie an meinem Hosenbein. Sie hält mir das Foto von Amanda Horde hin.
– Nimm das wieder mit. Auf der Rückseite findest du eine Telefonnummer. Die kann dir eventuell weiterhelfen.
Unter Schmerzen beuge ich mich runter und nehme das Foto entgegen.
– Hilf dem Mädchen, Joe. Wenn ich was anderes höre oder wenn du mich angelogen hast, dann hole ich meine Leute. Erst brennen wir dein Haus nieder, und dann jage ich dich wie einen räudigen Hund.
– Ohhkehh.
– Und jetzt hau endlich ab, verdammte Scheiße.
Ich versuche es. Taumelnd und torkelnd folge ich dem Gehsteig. Die Handschellen baumeln noch immer an meinem Handgelenk. Ich habe Amandas Foto in der Hand und weiß nicht, wohin.
Nach zehn Metern muss ich kotzen. Ich beuge mich über die Motorhaube eines Autos und speie so lange Galle, bis ich nichts mehr in mir habe und nur noch Luft hervorwürge. Ich will mich einfach in einer dunklen Ecke verkriechen. Leider wird in dieser Gegend keine Ecke lange dunkel bleiben. Geh heim, hat Lydia gesagt. Nimm was von deinem Vorrat. Sie weiß ja nicht, dass es keinen Vorrat mehr gibt. Ich stemme mich von der Motorhaube hoch und wanke die Straße hinunter.
An einer Kreuzung bekomme ich ein Straßenschild zu fassen: Third Ecke C. Evie wohnt in der Third, nur eineinhalb Blocks entfernt. Evie wird sich um mich kümmern.
Und sie hat Blut. Mindestens fünf Liter.
Ich verwerfe die Idee und bewege mich in entgegengesetzter Richtung zur C, nur weg von Evie und dem Blut, das sie eines Tages umbringen wird.
Christian und die Dusters würden mir helfen. Aber vor Sonnenaufgang schaffe ich es keinesfalls zur Pike. Ich brauche ein Versteck. Ein tiefes Loch, in dem ich die letzten Ausläufer der verfluchten Krämpfe überstehen kann. Inzwischen ist es so hell, dass meine Augen brennen und tränen.
Ich muss mich irgendwo verkriechen.
Die Absperrgitter befinden sich noch immer vor der Schule an der 9th, aber die Bullen haben sich verzogen. Es ist schon halb sechs, und der frühmorgendliche Berufsverkehr rollt vorbei. Aber darauf kann ich jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Ich habe noch eine Stunde, bevor ich zu Asche zerfalle. Ich spähe zwischen den Barrikaden hindurch, dann schleiche ich gebückt zum Eingang der Schule. Sie haben ein neues Schloss und eine neue Kette angebracht. So, wie ich jetzt drauf bin, fehlt mir die Kraft, die schwere Doppeltür aufzubrechen, geschweige denn, an der Wand hochzuklettern. Ohne die Krämpfe könnte ich versuchen, mich an einer Regenrinne emporzuhangeln. Jetzt würde ich wohl nur auf halbem Weg von Schmerz geschüttelt abrutschen und ein paar Stockwerke tiefer auf dem Kopf landen. Immerhin wären dann alle meine Probleme gelöst. Stattdessen untersuche ich die Fenster im Erdgeschoss. Keines der Stahlgitter davor hat die Jahre unbeschadet
Weitere Kostenlose Bücher