Stadt aus Glas
warf Stillman einen Gegenstand, nachdem er ihn auf diese Weise gründlich betrachtet hatte, wieder auf den Gehsteig zurück, aber häufiger geschah es, daß er seine Reisetasche öffnete und das Objekt behutsam hineinlegte. Dann griff er in eine seiner Manteltaschen, holte ein rotes Notizbuch hervor - das dem Quinns ähnlich, aber kleiner war - und schrieb darin ein oder zwei Minuten lang mit großer Konzentration. Wenn er diese Prozedur beendet hatte, steckte er das Notizbuch wieder in die Tasche, nahm seine Reisetasche und setzte seinen Weg fort. Soweit Quinn es beurteilen konnte, waren die Gegenstände, die Stillman sammelte, wertlos. Sie schienen nichts weiter zu sein als zerbrochene, weggeworfene Dinge, zufällig herumliegender Abfall. Im Laufe der Tage, die auf diese Weise vergingen, notierte Quinn das Gestell eines Regenschirms ohne Bespannung, den abgetrennten Kopf einer Gummipuppe, einen schwarzen Handschuh, den Sockel einer zerbrochenen Glühbirne, mehrere Stücke von bedrucktem Material (durchnäßte Illustrierte, zerfetzte Zeitungen), ein zerrissenes Foto, unbekannte Maschinenteile und allerlei anderes Treibgut, das Quinn nicht zu identifizieren vermochte. Die Tatsache, daß Stillman diese Lumpen sammelei ernst nahm, erstaunte Quinn, aber er konnte nicht mehr tun als beobachten, in sein rotes Notizbuch eintragen, was er sah, dumm an der Oberfläche der Dinge hängenbleiben. Gleichzeitig freute es ihn zu wissen, daß Stillman auch ein rotes Notizbuch hatte, so als wäre das ein heimliches Band zwischen ihnen. Quinn hegte die Vermutung, daß Stillmans rotes Notizbuch Antworten auf die Fragen enthielt, die sich in seinem Geist angesammelt hatten, und er begann verschiedene Pläne zu entwerfen, wie er es dem alten Mann stehlen könnte. Doch die Zeit war noch nicht reif für einen solchen Schritt. Abgesehen davon, daß er Dinge von der Straße aufhob, schien Stillman nichts zu tun. Ab und zu machte er irgendwo halt, um zu essen. Gelegentlich rannte er gegen einen Passanten und murmelte eine Entschuldigung. Einmal wurde er beinahe von einem Auto überfahren, als er eine Straße überquerte. Stillman sprach mit niemandem, er ging in keine Geschäfte, er lächelte nicht. Er schien weder glücklich noch traurig zu sein. Zweimal, als seine Abfallausbeute besonders groß war, kehrte er mitten am Tag ins Hotel zurück und erschien einige Minuten später wieder mit der leeren Tasche. An den meisten Tagen verbrachte er mindestens einige Stunden im Riverside Park. Er ging methodisch die geschotterten Wege entlang oder schlug sich mit einem Stock durch die Büsche. Seine Suche nach Gegenständen ließ im Grünen nicht nach. Steine, Blätter, Zweige - alles fand seinen Weg in die Tasche. Einmal beobachtete Quinn, wie er sich nach einem Stück trockenen Hundekots bückte, bedächtig daran schnupperte und es behielt. Im Park ruhte sich Stillman auch aus. Am Nachmittag, oft nach dem Mittagessen, saß er auf einer Bank und starrte auf den Hudson hinaus. Einmal, an einem besonders warmen Tag, sah ihn Quinn im Gras ausgestreckt schlafen. Wenn es dunkel wurde, aß Stillman gewöhnlich im Apollo Coffee Shop an der Kreuzung 97th Street und Broadway und kehrte dann für die Nacht in sein Hotel zurück. Nicht ein einziges Mal versuchte er, Verbindung mit seinem Sohn aufzunehmen. Das bestätigte auch Virginia Stillman, die Quinn jeden Abend anrief, wenn er wieder zu Hause war. Das wichtigste war, das Interesse nicht zu verlieren. Nach und nach begann sich Quinn seinen ursprünglichen Absichten entfremdet zu fühlen, und er fragte sich nun, ob er sich nicht auf ein sinnloses Unterfangen eingelassen hatte. Es war natürlich möglich, daß Stillman nur seine Zeit abwartete und alle in Sicherheit wiegte, bevor er zuschlug. Das hieße jedoch annehmen, daß er sich beobachtet wußte, was Quinn für unwahrscheinlich hielt. Er hatte seine Arbeit bisher gut getan, immer einen diskreten Abstand zu dem alten Mann eingehalten, sich in den Straßenverkehr gemischt, weder die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt noch drastische Maßnahmen ergriffen, um unentdeckt zu bleiben. Andererseits hatte Stillman vielleicht die ganze Zeit - und schon im voraus - gewußt, daß man ihn beobachtete, und sich daher nicht die Mühe gemacht festzustellen, wer der Beobachter war. Was für eine Rolle spielte das, wenn feststand, daß er verfolgt wurde? Ein Verfolger, den man entdeckte, konnte jederzeit durch einen anderen ersetzt werden. Diese Darstellung des
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