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Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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und damit erhöhte sich die Gefahr, Stillman zu verlieren. Nach einer Weile fand er, daß es im Grunde darum ging, wie er den Block hielt. Er experimentierte mit dem Notizbuch in einem Winkel von fünfundvierzig Grad, stellte aber fest, daß sein linkes Handgelenk zu rasch ermüdete. Danach versuchte er, das Notizbuch direkt vor sein Gesicht zu halten und über den Rand zu spähen wie ein lebendig gewordener Kilroy, doch das erwies sich als unpraktisch. Als nächstes probierte er, das Notizbuch mehrere Zoll über dem Ellbogengelenk auf dem rechten Arm aufzustützen und den Rücken des Buches mit der linken Handfläche zu halten. Aber dabei verkrampfte sich die Schreibhand, und es war unmöglich, auf der unteren Hälfte der Seite zu schreiben. Zuletzt beschloß er, das Notizbuch gegen die linke Hüfte zu halten, etwa wie ein Maler seine Palette hält. Das ging besser. Das Tragen war nicht mehr so anstrengend, und er hatte die rechte Hand zum Schreiben frei.
    Obwohl auch diese Methode ihre Nachteile hatte, schien sie auf die Dauer doch die bequemste zu sein. Denn Quinn war nun imstande, seine Aufmerksamkeit zu beinahe gleichen Teilen Stillman und dem Schreiben zuzuwenden, indem er bald auf den Mann, bald auf das Blatt blickte und Sehen und Schreiben in derselben fließenden Bewegung vereinte. Mit dem Kugelschreiber des Taubstummen in der rechten Hand und dem Notizbuch an der linken Hüfte folgte Quinn Stillman weitere neun Tage lang.

    Seine abendlichen Gespräche mit Virginia Stillman waren kurz. Obwohl der Kuß noch sehr lebendig in Quinns Erinnerung war, hatte es keine weiteren romantischen Entwicklungen gegeben. Anfangs hatte Quinn erwartet, daß etwas geschehe. Nach einem so verheißungsvollen Beginn hatte er das sichere Gefühl, daß er schließlich Mrs. Stillman in den Armen halten werde. Aber seine Auftraggeberin hatte sich rasch hinter die Maske des Geschäftlichen zurückgezogen und nicht ein einziges Mal mehr auf diesen Augenblick der Leidenschaft angespielt. Vielleicht hatte sich Quinn mit seinen Hoffnungen irreleiten lassen, weil er sich eine Zeitlang mit Max Work verwechselte, der es nie versäumte, von solchen Situationen zu profitieren. Oder vielleicht begann Quinn einfach seine Einsamkeit heftiger zu spüren. Es war lange her, seitdem zum letztenmal ein warmer Körper an seiner Seite gelegen war, und Tatsache war, daß er in dem Augenblick begonnen hatte, Virginia Stillman zu begehren, in dem er sie sah, lange bevor es zu dem Kuß gekommen war. Daß sie ihn zur Zeit nicht ermutigte, hinderte ihn nicht daran, sie sich immer noch nackt vorzustellen. Laszive Bilder gingen ihm jeden Abend durch den Kopf, und obwohl die Chance, daß sie Wirklichkeit werden könnten, nur gering zu sein schien, blieben sie doch eine angenehme Ablenkung. Viel später, lange nachdem es zu spät war, wurde ihm bewußt, daß er tief im Innersten die chevalereske Hoffnung gehegt hatte, den Fall so brillant zu lösen und Peter Stillman so rasch und endgültig aus jeder Gefahr zu befreien, daß er Mrs. Stillmans leidenschaftliche Zuneigung gewinnen würde, solange er sie haben wollte. Das war natürlich ein Fehler. Aber unter den Fehlern, die Quinn vom Anfang bis zum Ende machte, war er nicht schlimmer als irgendein anderer.
    Es war der dreizehnte Tag seit dem Beginn der Jagd.
    Quinn kehrte an diesem Abend verstimmt nach Hause zurück. Er war entmutigt, bereit aufzugeben. Trotz der Spiele, die er mit sich selbst gespielt hatte, trotz der Geschichten, die er erfunden hatte, um sich bei Laune zu halten, schien der Fall keine Substanz zu haben. Stillman war ein verrückter alter Mann, der seinen Sohn vergessen hatte. Er konnte ihm folgen bis ans Ende der Zeiten, und nichts würde geschehen. Quinn nahm den Hörer ab und wählte die Wohnung der Stillmans.
    »Ich bin nahe daran aufzugeben«, sagte er zu Virginia Stillman. »Nach allem, was ich gesehen habe, besteht keine Gefahr für Peter.«
    »Eben das möchte er uns glauben machen«, antwortete die Frau. »Sie haben keine Ahnung, wie durchtrieben er ist. Und wie geduldig.«
    »Er mag geduldig sein, aber ich bin es nicht. Ich glaube, Sie verschwenden Ihr Geld. Und ich verschwende meine Zeit.«
    »Sind Sie sicher, daß er Sie nicht gesehen hat? Das könnte von entscheidender Bedeutung sein.«
    »Ich würde nicht um mein Leben wetten, aber - ja, ich bin sicher.«
    »Was meinen Sie also?«
    »Ich meine, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wenigstens jetzt nicht. Wenn später etwas

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