Stadt aus Sand (German Edition)
eins mit dem Laufen geworden.
Er bestand nur noch aus Muskeln, Atem, Takt.
Er hatte eine Mission zu erfüllen.
Sie brauchten Krieger. Sie brauchten Hilfe.
Und er hatte ein Geheimnis zu bewahren.
Sanagò. Sanagò. Sanagò.
Inogo wusste nicht, wie weit die Stadt Tamanè entfernt war. Oder irgendeine andere Siedlung. Er hatte weder Wasser noch Proviant. Doch das alles ängstigte ihn nicht. Konnte seinen Lauf nicht aufhalten.
Er sprang über einen Busch, landete auf der weichen Erde und lief weiter. Er schob einen anderen Busch zur Seite, bückte sich, um unter den tiefhängenden Ästen von zwei dornigen Akazien hindurchzukommen, und lief weiter.
Busch, Fels, Baum. Er ließ alles hinter sich.
Sein einziges Ziel war die gebogene Linie des Horizonts.
Und beim Laufen wiederholte er sich immer wieder die Geschichte, die niemals vergessen werden durfte.
Als er an einen Wasserlauf kam, blieb er stehen, um zu trinken. Er hockte sich auf seine Fersen wie ein einsamer Jäger und führte eine Hand zum Mund.
Das Wasser war trübe, aber angenehm.
Über sich hörte er einen Schrei. Ein Falke umkreiste einen schwarzen Geier, der plötzlich dort aufgetaucht war.
»Sanagò!«, sagte Inogo laut. Und er sah, wie sich der Falke auf den wesentlich größeren Geier stürzte, um ihn herumflog und ihn immer wieder heftig angriff.
Flügelschlagend flog der Geier davon.
Inogo lächelte, und als er wieder nach unten sah, fiel ihm auf der anderen Seite des Baches ein junger Schakal auf, der ihn beobachtete. Das Tier hatte ein dichtes Fell und wirkte angespannt. Es starrte ihn ganz seltsam mit seinen gelben Augen an.
Inogo stand auf. Er sagte nichts.
Der Junge und das Tier sahen sich lange an, als ob sie einander seit jeher kennen würden. Der Falke am Himmel schrie.
Daraufhin wandte sich der Schakal ab und begann, in Richtung der beiden Zwillingssterne zu laufen.
Nach ein paar Schritten drehte er sich wieder um, um zu sehen, ob Inogo ihm auch folgte.
Inogo überschritt den Wasserlauf.
Nun lief der Schakal vor ihm her, als wollte er ihm den Weg bahnen.
Über ihnen kreiste majestätisch der Falke.
Jeder Mensch teilt sich mit einem Tier eine Seele, hatte ihm Setuké in der Höhle erzählt. Und selbst wenn er ihm niemals begegnet, wächst das Tier gemeinsam mit ihm auf.
Inogo betrachtete den Falken und den Schakal, und während er mit ihnen zusammen lief, wurde ihm bewusst, dass er sie beide neben sich spürte. Auf einmal fühlte er keine Müdigkeit mehr.
Er lief durch diese Nacht unter dem unendlichen Sternenhimmel, verwundert über jene Reisegefährten, die beschlossen hatten, ihn zu begleiten.
Ohne auch nur einmal stehen zu bleiben.
DER KRIEG
Nun wirst du es mir büßen!«, rief die milchige Seele auf der Schwelle des mit Teppichen ausgekleideten Zimmers aus.
Der Fürst der Stadt aus Sand stand vor den drei hohen schmalen Fenstern. Er wandte den Blick von seinen Geiern ab und drehte sich verblüfft um.
Was machte denn eine Seele außerhalb ihrer Ampulle? Die Augen des Fürsten konnten sie kaum erkennen, so unscharf zitterte ihr Bild vor der schwarzen Wand des Zimmers. Und für seine menschlichen Ohren war die Stimme kaum zu vernehmen.
»Du erinnerst dich doch an mich, nicht wahr?«, meinte die Seele drohend und schwebte über den Teppich auf ihn zu.
Der Fürst verlor keine Zeit. Er lief in die Mitte des Zimmers und stürmte wütend durch die Seele hindurch. Der Geist des Kriegers traf mit seiner wuchtigen Faust ins Leere.
»Halt! Bleib stehen! Wo willst du denn hin?«, schrie er.
Sanagòs Mantel blähte sich im Wind. Der Fürst der Stadt aus Sand eilte den langen Gang entlang, der zu der Wendeltreppe führte.
Etwas musste in der Höhle mit den Wurzeln passiert sein.
Angsterfüllt begann er zu rennen.
Er packte den eisernen Schlüssel und stieß ihn zornig gegen die Wand, so dass er bei seinem Abstieg in den Untergrund von einem Funkenregen begleitet wurde.
Raogo leckte ihr glücklich die Schnauze.
»Nein, Raogo, jetzt ist es genug!«, jaulte Rokia und hob ihre kleinen Pfoten.
»Das ist völlig sinnlos. Siehst du denn nicht, dass sie tot ist?«, meinte die jammernde Seele hinter dem Fuchs. »Ach nein. Vielleicht ist sie ja doch nicht tot.«
Die Seele schwieg einen Moment. »Sie wird aber trotzdem gelähmt sein«, fügte sie dann hinzu.
Rokia sprang zornig auf. Nein, sie war überhaupt nicht tot! Und genauso wenig gelähmt!
Sie schüttelte den Kopf und versuchte nachzudenken. Versuchte, sich an die Worte
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