Stadt aus Sand (German Edition)
Wasser wirft, und riefen die Tiere in ihren Käfigen, ließen den Sand von den Mauern des Palastes bröckeln und brachten die Wachen durcheinander. Der Baobab in der Mitte des Hofes ächzte und zitterte, als peitschte ihn ein tropischer Sturm.
»Genug!«, schrie der Fürst wieder und versuchte, sie mit der Hand zu treffen.
Doch Rokia sprang zur Seite und entging seinen scharfen Fingernägeln um ein Haar.
Wieder zerbarst Metall, und kurz danach flog ein Schwarm bunter Vögel aus der Menagerie auf. Und dann rannte ein Elefant über den Hof. Er schleppte Baawas Seil und den Flaschenzug mit seinen Rollen hinter sich her, die vom Boden aufzuckten wie Peitschen.
In der allgemeinen Verwirrung vervielfachte sich Sanagòs Wut. Die Tentakel aus seinen Händen bäumten sich auf und packten sich alles in ihrer Umgebung, doch es gelang ihnen nie, in die Nähe des Mädchens zu kommen.
Rokia öffnete ihre Fäuste, da die Bernsteine unerträglich heiß geworden waren.
In einem letzten Versuch, sie zu treffen, schleuderte der Fürst die schwarzen Tentakel wie einen Kranz um sie. Doch sie lösten sich auf, ohne Rokia auch nur zu berühren.
Darauf hob er beide Hände und gab sich geschlagen: »Genug! Gut! Du hast gewonnen! Ich gebe dir deinen Großvater wieder! Hast du verstanden? Ich gebe dir die Seele deines Großvaters wieder!«
Rokia sang nun ein wenig leiser.
»Hör auf zu singen! Hör auf zu singen, und ich gebe dir Matuké wieder!«
Rokia wurde noch leiser.
Im Hof tobten die Tiere, und an den Toren des Palastes prügelten sich inzwischen einige Menschen mit den Wachen.
Doch die wichtigste Schlacht fand zwischen Rokia und dem Fürsten der Stadt aus Sand statt.
»Gut so, braves Mädchen«, schmeichelte ihr der Fürst, der aus dem Augenwinkel alle Geschehnisse um sich herum beobachtete. »Wenn du nur aufhörst zu singen … werde ich dir die Seele deines Großvaters zurückgeben.«
Vom Tor aus wurde jetzt geschossen. Der Löwe brüllte. Der Elefant rannte und zerrte die Seile hinter sich her. Die beiden Bernsteinstücke brannten ihr in den Händen.
Rokia nickte.
»Gut«, nahm sie an und hörte auf zu singen. »Aber als Erstes zieh dir die Pantoffeln aus.«
Es war, als hätte sich eine bleierne Stille wie ein Leichentuch über den Hof gelegt.
Als Rokias Gesang verstummte, hielten die Tiere inne. Sie versuchten nicht mehr, ihre Käfige aufzubrechen, und zogen sich langsam, ängstlich witternd zurück.
Der Fürst spannte die Sehnen an seinem Hals an und presste heftig die Kiefer aufeinander. Dann bewegte er seine Finger leicht, als wollte er etwas streicheln, das gar nicht da war.
»Ich soll mir … die Pantoffeln ausziehen?«, fragte er leise, um Zeit zu gewinnen.
In Rokias Rücken erhoben sich langsam die Tentakel, die der Fürst kurz zuvor wie einen Kranz um das Mädchen geschleudert hatte.
Er wandte die gleiche List an, mit der er vor vielen Jahren Matukés und Setukés Vater getäuscht hatte.
»So ist es«, beharrte Rokia, »und zwar alle beide, sonst fange ich wieder an zu sin …«
Eine Bewegung des Fürsten, und die Tentakel schnellten hinter Rokias Rücken vor und überraschten sie heimtückisch.
Rokia verlor das Gleichgewicht und fiel nach vorne, direkt in die Arme des Fürsten. Die beiden Bernsteinstücke kullerten über den Boden.
»Was hast du geglaubt, könntest du hier ausrichten?«, zischte er ihr zu und packte sie bei den Haaren: »Wolltest du dich etwa mir widersetzen … mir ?«
Auf seinem Gesicht erschien ein furchtbares, vulgäres, zügelloses Lachen. »Ihr lernt es nie, was? Nie! Ich bin der Fürst der Stadt aus Sand! Ich bin derjenige, der siegt!«
Darauf zog er ein langes Messer mit einer verzierten Klinge aus dem Gürtel.
Rokia schloss die Augen. Sie fand keine Kraft mehr, um zu singen.
Jetzt war alles zu Ende.
»Es tut mir so leid, Großvater«, sagte sie ganz leise und erwartete den Hieb des Fürsten.
Doch der blieb aus. Im Gegenteil, der feste Griff um ihre Haare lockerte sich, und Sanagò wich einen halben Schritt zurück.
Jemand aus der Menge, die sich am Eingangstor drängte, hatte angefangen zu singen.
»Funken des Feuers, Funken des Herzens …«, grölte ein Unbekannter so laut, dass die Tiere in seiner Nähe scheuten. »Was tut Sanagò, wenn sie vorbeiziehn?«
Die Stimme des Mannes klang so kreischend und schrill, so schneidend wie ein verrostetes Messer und so ohrenzerreißend wie eine alte Säge. Er kannte weder die Töne noch die Worte so genau, die er
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