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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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Sandkörner Kratzer wie von Krallen hinterlassen hatten, an seine wimpernlosen Augen. Zwischen seinen scharfen, bemalten Fingernägeln leuchtete die Ampulle seltsam auf, wie Edelsteine, wenn der Schein des Lichts auf sie fällt.
    »Und jetzt, da du besiegt bist? Welches Reich hast du deiner Familie hinterlassen? Keines. Und welche Besitztümer werden sich deine Erben teilen? Nicht einmal eine Handvoll Hirsekörner. Welche Spuren hinterlässt du? Staub, nichts als Staub! Was haben dir deine Anstrengungen, dein Kampf und das Versteckspiel gebracht? Wer von uns beiden hat nun recht behalten? Wer hat den richtigen Weg gewählt? Wer kann nun noch frei über seine Zukunft bestimmen?«
    Aus Bosheit schwenkte Sanagò das Fläschchen hin und her, ehe er weiter auf es einredete. »Ich, Matuké. Ich kann noch über meine Zukunft bestimmen. Ich muss nur dieses Fläschchen öffnen und deine Seele trinken, und dein verrückter Wettstreit mit mir wird ein für alle Mal vorüber sein. Aber keine Angst. Heute Nacht werde ich das nicht tun, auch nicht in der folgenden. Ich habe noch ein zweites rotes Fläschchen, das ich hier sorgsam seit vielen Jahren am Gürtel trage. Es ist für deinen Bruder bestimmt und wartet schon auf seine Seele. Diese Wartezeit werde ich jetzt genießen, da ich weiß, dass sie nur kurz sein wird. Ich finde immer den rechten Moment. So wie ich es bei deinem Vater getan habe. Weißt du, was ich ihm gesagt habe, als ich seine Seele trank? Weißt du das? Ich sagte zu ihm: ›Ich werde dein Dorf zu Sand werden lassen! Genau wie deine Lieder!‹«

DIE RÜCKKEHR
    Inogo sprang auf und hob seinen Speer.
    Er hatte einen Fremden gesehen, der auf der Straße nach Westen näher kam. Deshalb musste er bereit sein.
    Rokias jüngerer Bruder packte sorgfältig sein Brot und sein getrocknetes Obst ein, dann versteckte er das Bündel in einer Höhlung des Baumes, unter dem er Wache gehalten hatte, ehe er wieder den Fremden beobachtete. Er hatte die Aufgabe, die ihm vom Großvater übertragen worden war, sehr ernst genommen.
    Als er die Augen zusammenkniff, erkannte er die Umrisse eines Packtiers, das unter einer starken Warenlast schwankte und von einer sehr kleinen Gestalt an einem Seil hinter sich hergezogen wurde.
    Das könnte ein fliegender Händler mit seinem Pferd sein, sagte Inogo zu sich und wechselte den Speer von einer Hand in die andere. Nachdem er das lange geübt hatte, ohne dass ihm jemand zusah, fiel der ihm dabei auch nicht mehr zu Boden.
    Dann kniff er stirnrunzelnd die Augenbrauen zusammen. Dieser Mann, der ein Pferd hinter sich herzog, erschien ihm etwas klein für einen Tablier . Und dieses Pferd war ebenfalls zu klein für ein Pferd.
    Alles war zu klein, dachte Inogo und rammte den Speer neben sich in den Boden. Er war fast genauso groß wie seine Waffe. Also nicht zu klein, um ein guter Jäger zu sein.
    Tablier hin oder her, dieser Fremde würde nicht gegen seinen Willen auf dieser Straße weiterziehen.
    O nein, erst einmal brauchte der seine Erlaubnis.
    So war das.
    Zur Sicherheit warf Inogo noch einem Blick zurück auf die Palisade hinter ihm, die vor der majestätischen Falaise beinahe verschwand. Falls wirklich Gefahr bestand, würde er zu den Toren laufen, wie es ihm seine Mutter geraten hatte.
    »Geh ruhig und beschütze das Dorf …«, hatte sie zu ihm gesagt. »Aber entfern dich nicht weiter als zweihundert Schritte.«
    Eigentlich hatte seine Mutter ja hundert Schritte gesagt.
    Aber Inogo konnte schließlich sehr schnell rennen. Das machte also kaum einen Unterschied.
    Selbstverständlich würde er nur bei einer wirklichen Gefahr ins Dorf laufen. Und das nur, um Alarm zu schlagen.
    Inogo packte entschlossen den Speer und konzentrierte sich wieder auf den näher kommenden Fremden. Diesen Moment hatte er sich oft ausgemalt und das Gespräch mit einem eventuellen Unbekannten immer wieder von Anfang bis Ende durchgespielt.
    Zuerst musste er ihn mit drohender Stimme aufhalten.
    Inogo räusperte sich.
    Dann würde er ihn nach seinem Namen, seinem Dorf und dem Grund der Reise fragen.
    »Ich muss ihm sagen: ›Willkommen in unserem Dorf‹ und ihm den Weg zeigen … falls es ein harmloser Reisender ist«, überlegte Inogo noch einmal laut. »Sonst … muss ich weglaufen und vor der Gefahr warnen.«
    Dann korrigierte er sich: » Laufen und vor der Gefahr warnen.«
    Als er diese Möglichkeit überdachte, kam ihm ein Zweifel: Wenn er zum Dorf laufen musste, sollte er nicht besser vorher das Bündel mit

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