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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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Kehle gebildet hatte, strich mit den Händen über die Wangen des Großvaters und zog ihm die schwarz, silbern und golden gestreifte Kopfbedeckung von der Stirn, diese wunderschöne Kappe, die eines Gottes würdig war. Sie fuhr ihm über die Haare und tröstete ihn, als ob sich ihre Rollen nun verkehrt hätten und Rokia jetzt die Großmutter eines Kindes wäre, das sie behüten musste.
    »Mach dir keine Sorgen, Großvater. Das ist alles gelogen. Das haben sich die neidischen Männer bloß ausgedacht. Keiner hat dir die Seele geraubt. Vielleicht hat sie nur einen Moment deinen Körper verlassen, wie du sagst, weil sie sich so erschrocken hat. Auch ich habe Angst gehabt, weißt du? Aber gleich wird deine Seele zurückkehren, und es wird wieder so sein, als wäre nichts passiert. Genau wie für mich. Das war nur ein böser Schreck. Keine Sorge, wir gehen jetzt nach Hause. Du, ich und Napoleon. Wenn du willst, können wir uns auch ein Lied darüber ausdenken. Ein Lied, das einem erst Angst einjagt, aber dann gut ausgeht, wie die anderen Lieder, die ich so gern mag. Und wenn wir es meinen Brüdern vorsingen, werden sie dieses Mal nicht einschlafen, du wirst sehen, denn auch sie mögen Lieder, die ihnen Angst einjagen. Und dann werden wir darüber lachen! Sie haben dir nicht die Seele geraubt, Großvater, keine Angst. Das sind Lügen, nichts als Lügen …«
    »Das sind keine Lügen, Kleines«, sagte da jemand anderes direkt neben ihr.
    »Das sind nichts als Lügen!«, beharrte Rokia und versuchte, den beinahe schwerelosen Kopf ihres Großvaters an sich zu pressen.
    »Niemand hat geglaubt, dass Matuké kommen würde«, fuhr die unbekannte Stimme fort. Sie klang anders als die von Bilal und den anderen Geschichtensängern, die sich vorhin um den alten Griot geschart hatten. Als Rokia dies plötzlich bewusst wurde, machte ihr Herz einen Sprung: Das war die Stimme einer Frau.
    Sie zog die Nase hoch und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, ehe sie sich umdrehte.
    Musoyuma, die Griot -Frau, lächelte sie mitleidsvoll an.
    »Er nennt sich der Fürst der Stadt aus Sand«, vertraute sie ihr flüsternd an und verstieß damit bewusst gegen das Gebot, den Namen nicht auszusprechen. »Aber man erzählt sich, dass das nicht sein wahrer Name ist.«
    Sie war wohl zu hasserfüllt oder zu entschlossen, um dem von der Angst diktierten Verbot zu gehorchen. »Er war es, der die Seele deines Großvaters geraubt hat.«
    Dann schaute die Griot -Frau wütend zum düsteren Nachthimmel auf und ballte drohend eine Faust gegen die ersten Sterne, die dort aufleuchteten.

    Im dunklen Zimmer seines Palastes auf der anderen Seite der Wüste stand der Fürst der Stadt aus Sand am Fenster. Wenn seine Nase nicht im Laufe der Jahrhunderte ausgetrocknet wäre, hätte er den Weihrauchduft wahrnehmen können, der vom Markt her aufstieg. Doch der Geruchssinn hatte ihn wie der Geschmackssinn schon seit Zeiten verlassen, beide hatte er den verbotenen Zaubersprüchen opfern müssen. Seiner Meinung nach ein erträgliches Opfer. Ein bewusst in Kauf genommener Verzicht.
    Und doch lag da noch ein anderer Geruch in der Luft, den er deutlich wahrnehmen konnte: der Geruch des Sieges. Der Fürst sprach die abschließenden Worte dieser langen Nacht der Jagd, während er die letzten Rauchschwaden in einer Ampulle aus rotem Glas einfing, die er schon seit vielen Jahren an seinem Gürtel trug. Dann verschloss er sie mit einem Stöpsel aus Akaziennadeln, deren winzige Spitzen er in das noch warme Blut einer Henne getaucht hatte.
    In der Ampulle leuchtete ein darin gefangenes Licht auf und begann zu pulsieren. Matukés Seele zappelte zwischen diesen Glaswänden wie ein Fisch im Netz, doch die Zauberworte des Fürsten hielten ihn fest gefangen.
    »Wie lange habe ich darauf gewartet, hm, Matuké?«, sagte der Fürst und drehte das Fläschchen zwischen seinen Fingern. »Wie lange hast du dich durch deine Zaubersprüche und die deines Bruders vor mir verborgen? Und jetzt, da ich dich gefunden habe, was hilft dir jetzt deine Kunst der Träume? Und deine Musik? Deine unendliche Erinnerung? Deine große Weisheit? Was hat es dir gebracht, Matuké, dich meinem Willen zu widersetzen? Das. Du bist nun hier. In einer schlichten Ampulle aus Glas, die nicht größer ist als der Schwanz einer Eidechse. Das ist alles, was von dem großen Geschichtensänger bleibt. Von dem Griot , der glaubte, die Wurzeln der Welt zu hüten.«
    Sanagò führte das Glas, auf dessen Oberfläche

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