Stadt aus Sand (German Edition)
damit sagen, kleines Ding?«
Rokia rollte sich auf den Bauch näher an das Feuer und wärmte sich schläfrig am letzten Rest der Glut. »Ich habe noch nie etwas Schlechteres gehört.«
Ayad verschränkte so energisch die Arme vor der Brust, dass all seine Ketten rasselten. »Was erlaubst du dir, du unverschämte Person! Ich bin ein Geschichtensänger!«
Rokia lachte laut auf: »Du, ein Geschichtensänger? Das kann nicht sein!«
»Beharrst du weiter darauf, du lästige kleine Mücke? Nur damit du es weißt, ich habe einen ganz eigenen Gesangsstil …«
»Du singst falsch!«
»Das stimmt nicht! Es ist nur eine Frage des Gehörs!«
»Frag doch Raogo! Der ist verschwunden, kurz bevor du angefangen hast zu singen!«
Jetzt reichte es Ayad. Er versuchte, das Mädchen mit der Hand zu fassen zu kriegen, aber Rokia rollte sich rasch weg, ehe er sie berühren konnte.
»Komm her!«, befahl ihr der Händler und stand auf.
»Nur wenn du mir versprichst, nicht mehr zu singen!«
»Bitte mich um Verzeihung!«, rief er und lief hinter ihr her.
»Du bist der unmusikalischste Geschichtensänger auf der ganzen Welt!«
»Du kleine, undankbare Göre!«
Ayad verfolgte Rokia kreuz und quer durch das Lager und achtete nicht auf Monets und Manets Klagerufe, bis er keuchend vor Anstrengung aufgeben musste.
Er ließ sich in den kalten Sand sinken, streckte sich auf den Rücken aus und betrachtete erschöpft die Sterne. Kurz darauf setzte sich Rokia neben ihn.
Sie schwiegen.
Beide waren von der Weite des Himmels über ihnen tief bewegt.
»Singe ich wirklich so furchtbar?«, fragte Ayad plötzlich ganz ernsthaft.
»Ich denke schon«, antwortete Rokia. »Aber vielleicht kann ich dir einige Stimmübungen beibringen. Mein Großvater ist ein echter Griot .«
»Du könntest mir wirklich …«
»Sicher«, unterbrach ihn Rokia, »wenn du mir dafür beibringst, wie man dieses Instrument da spielt … wie heißt es eigentlich?«
Ayad streckte ihr in der Dunkelheit die Hand hin: »Das ist eine Valiha , sie stammt von einer weit entfernten Inselgruppe.«
Am folgenden Morgen änderte Rokia die Beladung der beiden Dromedare radikal.
Sie verteilte Truhen und Waren auf beiden Tieren und baute zwei Sättel, einen für Ayad und einen für sich selbst. Das Mädchen brauchte all seine Geduld, um den Händler zu überzeugen, und zusätzlich welche, um seine Klagen zu ertragen, denn nachdem er in den Sattel gestiegen war, behauptete er, alles sei jetzt viel unbequemer als vorher.
Rokia saß auf Manet und übte auf der Valiha , während Ayad versuchte zu schlafen. Als sie die fünfte Stunde Weg zurückgelegt hatten, wachte der Händler auf und sah sich entgeistert um. Etwas Seltsames geschah: Monet und Manet liefen klaglos weiter, und das taten sie unerschütterlich gute acht Stunden, bis Ayad selbst den Befehl gab anzuhalten.
Er sprang mit schmerzendem Rücken aus dem Sattel und starrte die beiden Dromedare an, als wären sie Fabeltiere.
»Sagst du mir, wie du das gemacht hast?«, fragte er Rokia. »Sie sind noch nie so … so gern gelaufen.«
Das Mädchen streichelte Manets knubbeliges Gesicht: »Ich habe überlegt, was meine Mutter getan hätte.«
Als Rokia ihre Mutter erwähnte, hatte sie plötzlich ein flaues Gefühl im Magen. Eine Mischung aus Angst, Heimweh und Reue um die Zeit, die sie fern von zu Hause verbrachte.
Sie betrachtete die Dünen, die im Schein der untergehenden Sonne glänzten, und überlegte, wie lange es her war, dass sie ihr Dorf verlassen hatte.
»Was jetzt wohl zu Hause vorgeht? Ob Großvater mich noch erwartet?«
Setuké und Zouley saßen auf dem Boden neben Matukés Lager.
Der Körper des alten Geschichtensängers wirkte schwach und zitterte, als wollte er sich beim ersten Windstoß auflösen.
Der Priester hielt seine Stöcke auf den Beinen überkreuzt und redete mit so leiser Stimme, dass man sie kaum aus dem Knacken des Strohdachs heraushören konnte.
Flüsternd erzählte er eine Geschichte, die er noch nie einer Frau anvertraut hatte.
»Als mich mein Lehrmeister in die Geheimnisse der Magie einweihte, wählte Matuké den Gesang wie unser Vater. Bald gab es in unserem Dorf keine Lehrmeister mehr, die ihn hätten unterrichten können, denn obwohl er noch ein kleiner Junge war, hatte er sie alle innerhalb weniger Monate eingeholt. Also verließ Matuké die Falaise , um sich selbst einen Lehrmeister zu suchen. Denn echte Weisheit lernt man nur durch die Stimme desjenigen, der sie kennt. Der Hogon
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