Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
Vom Netzwerk:
wolltest dir den Stein ausborgen, um jemandem zu helfen«, stieß ich bitter hervor. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. »Dabei hast du die ganze Zeit über mit dem Kanzler unter einer Decke gesteckt.«
    »Nein!«, rief Marian. »So ein Blödsinn! Niemals würde ich mit dem Kanzler zusammenarbeiten. Er hat meine Eltern getötet! Ich bin hier, um die Maschine zu sabotieren. Glaubst du etwa, ich will, dass es in der realen Welt plötzlich Dunkle Energie und einen unsterblichen Kanzler gibt?«
    Ich betrachtete das Werkzeug in seiner Hand und die Stelle, an der er damit herumgewerkelt hatte. »Für mich sieht es eher so aus, als würdest du das Ding warten.«
    Marian ließ den Schraubenzieher fallen. Das Klirren seines Aufschlags auf dem Boden sorgte für ein weiteres Scharren. »Das Ganze ist eben nicht so einfach.«
    »Dann gibst du es also zu?«
    Marian presste die Kiefer aufeinander.
    »Und wofür wolltest du den Stein? Etwa nicht, um ihn hierherzubringen und in dieses Ding zu stecken?«
    »Das verstehst du nicht.« Marian schlug die Augen nieder. »Ich hätte es ja nur kurz getan und dann –«
    »Nein!«, rief ich. »Das verstehe ich allerdings nicht. Ich –«
    Plötzlich war Marian bei mir, packte mich und drückte seine Hand auf meinen Mund. Ich versuchte, mich loszureißen, doch ich hatte keine Chance.
    »Still jetzt«, murmelte er direkt neben meinem Ohr. Dann zog er mich mit sich auf die andere Seite des Kessels und ich erstarrte. Endlich sah ich, wer oder besser gesagt was das Scharren hinter mir verursacht hatte.
    Ich hätte geschrien, wäre da nicht Marians Hand gewesen, die mich daran hinderte.
    Im Eingang der Höhle stand ein Ungeheuer. Es war pechschwarz und geschuppt von den krallenbesetzten Füßen bis zum drei Meter höher sitzenden deformierten Schädel, der einem zertretenen Riesenkürbis glich. Aus blinden Echsenaugen stierte es auf uns herab. Geifer tropfte von den langen Reißzähnen, die nicht in sein Maul passten und deshalb über die Unterlippe hinausragten. Ein stacheliger Schwanz peitschte über den Boden und in seinen scharfen Klauen hielt das Wesen Amadé!
    Du meine Güte, Amadé!
    »Tja«, raunte Marian mir zu. »Man sollte eben nicht meinen, der Kanzler würde sein Baby unbeaufsichtigt hier unten herumstehen lassen. Als Bewachung hat er natürlich sein ganz persönliches Monster engagiert.« Er lachte so höhnisch auf, dass mir ein Schauer den Rücken hinunterlief. Dann rief er etwas in einer unbekannten Sprache, woraufhin das Ungeheuer die Nüstern blähte und einen Sprung auf uns zu machte.
    Amadés Arme und Beine schlenkerten hin und her, als wäre sie eine Puppe. Sie hielt die Augen geschlossen und bewegte stumm die Lippen. Anscheinend stand sie unter Schock. Nach allem, was sie bisher erlebt hatte, genügte vermutlich schon weit weniger als so ein Godzilla-Verschnitt, um sie aus der Fassung zu bringen. Die Ärmste, sie brauchte meine Hilfe, und zwar sofort!
    Ich strampelte und versuchte, mich aus Marians Griff zu winden oder zumindest die Sichel in meiner Rocktasche zu erreichen. Doch weder das eine noch das andere gelang mir. Marian war einfach zu stark. Erneut rief er etwas in dieser merkwürdigen Sprache, die vielleicht Finnisch war. Das Ungeheuer heulte auf, dann schnaubte es und stieß eine Rauchwolke aus seinen Nüstern hervor. Warum nur musste Marian es noch mehr anstacheln? Ich blinzelte und hörte im selben Moment den dumpfen Aufprall eines Körpers auf dem Höhlenboden. Das Wesen hatte Amadé achtlos fallen lassen und wandte sich nun in unsere Richtung.
    Unaufhörlich redete Marian nun auf das Monster ein, während Amadé auf der anderen Seite des kosmologischen Materiophons stolpernd auf die Beine kam.
    Die Höhle erzitterte, als das Ungeheuer mit einem gewaltigen Satz neben uns landete. Sein stinkender Atem schlug mir ins Gesicht, ich schrie in Marians Handfläche, versuchte weiter, mich loszureißen, strampelte, zerrte und schaffte es in meiner Panik, einen Tritt gegen Marians Schienbein zu platzieren. Endlich bekam ich den Mund frei. Ich schnappte nach Luft.
    »Hör zu, ich weiß, wo der Weiße Löwe ist«, keuchte ich. »Und wenn du ihn noch willst, solltest du mich nicht an dieses Vieh verfüttern!«
    »Aber Flora, ich …«, begann Marian, verfiel jedoch mitten im Satz wieder in seinen finnischen Singsang.
    Das Monster senkte den Kopf bis auf Augenhöhe zu uns herab. Seine blinden Pupillen glänzten feucht und weiteten und verengten sich im Rhythmus der

Weitere Kostenlose Bücher