Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
Vom Netzwerk:
Keilhauen, wie die Bergleute ihre Spitzhacken nannten, zu hören war. Dann wandte ich mich zu Amadé um und verkündete ihr feierlich: »Dies sind die Minen von Eisenheim.«
    Amadé sah aus, als überlegte sie, ob es angebracht wäre, in Panik zu verfallen, ließ es dann aber. Und wo ist Marian?, erschien stattdessen auf ihrem Materienkiesel.
    »Das sollten wir besser herausfinden.«
    Der Gang war lang. Von unserer Nische aus konnten wir weder das eine noch das andere Ende ausmachen. Alle paar Meter ging ein Querstollen von ihm ab, mal so groß wie ein Garagentor, mal so klein, dass nur ein Kind hindurchpasste. Schon wieder kam ein Arbeiter mit einer Lore vorbei. Er hielt vor einem der Querstollen, aus denen zwei vor Dreck starrende Männer und ein Junge Körbe voll dunkler Kristalle heranschleppten, die sie in den Wagen kippten.
    »Wir sind zu langsam«, sagte der Mann, der die Lore schob. »Der Steiger sagt, wir müssen Überstunden machen.«
    Die anderen stöhnten auf. »Nach acht Stunden ohne Pause lässt die Kraft nun einmal nach. Und zwei von uns haben sich für heute schon in Luft aufgelöst«, sagte der ältere der beiden Männer. Er trug eine löchrige Hose, das Hemd klebte ihm schweißnass am Körper und das Weiß seiner Augen blitzte aus seinem geschwärzten Gesicht hervor. Schwer atmend schulterte er die leeren Körbe. »Viel länger halten wir einfach nicht mehr durch.«
    Der Mann an der Lore nickte. »Ich weiß, aber dem Steiger ist das leider egal«, erklärte er. »Er besteht auf zwei vollen Extrastunden von allen, die noch hier sind.«
    Mit hängenden Schultern kehrte die kleine Truppe wieder in ihren Stollen zurück, während die Lore vor dem nächsten Quergang hielt, wo sich die Szene wiederholte. Zwei müde Männer und ein Kind, die Materienkristalle in den Wagen kippten und erfuhren, dass sie mal wieder viel zu langsam arbeiteten. Ich blickte den Gang entlang. Hier unten waren wahrscheinlich Tausende von Menschen und Marian konnte überall sein.
    »Also«, sagte ich zu Amadé. »Das Wichtigste ist, dass wir uns merken, von wo wir gekommen sind.«
    Amadé nickte. Links oder rechts?
    »Rechts«, entschied ich, denn der Mann mit der Lore ging nach links. Es erschien mir sicherer, ihm nicht zu folgen und uns damit verdächtig zu machen.
    Im flackernden Schein der Fackeln setzten wir uns in Bewegung. Die Luft hier unten war stickig und schwül. Schon das bloße Gehen trieb einem den Schweiß auf die Stirn. Wir blieben zunächst im Hauptstollen und folgten ihm eine Weile. Immer wieder spähte ich in die abgehenden Quergänge, in der Hoffnung, Marian darin zu entdecken. Vielleicht arbeitete er ja heimlich hier unten, um sich mit den Schlafenden solidarisch zu zeigen? Ich dachte an seine flammende Rede beim Treffen der Verfechter der Freiheit des Schlafes. Als nach einer halben Stunde noch immer jede Spur von ihm fehlte, war mir das allerdings beinahe schon egal. Möglicherweise auch deshalb, weil ich stattdessen etwas anderes beobachtete.
    Wir hatten einen Teil des Stollens erreicht, in dem anscheinend nichts mehr abgebaut wurde. Zumindest waren keine Hammerschläge zu hören und auch keine Stimmen. An den Wänden waren nur noch vereinzelt Fackeln angebracht, mehrere Quergänge hatte man mit grau-weiß gestreiftem Band abgesperrt.
    Und in einem von ihnen sah ich diesen Schimmer.
    Kaum mehr als ein Flirren.
    Rot.
    Mir fiel wieder ein, was mein Vater über die seltsamen Vorkommnisse in den Minen gesagt hatte. Etwas, was den Nordlichtern in der realen Welt ähnelte, wollte man hier unten entdeckt haben. Etwas, was bunt war.
    Ein Hauch von Farbe in einer farblosen Welt.
    Ohne zu zögern, tauchte ich unter dem Absperrband hindurch und ging auf das merkwürdige Licht zu, das jetzt langsam von Rot zu Grün wechselte. Dieser Stollen war schmaler als die übrigen. Zu eng, als dass Amadé und ich hätten nebeneinandergehen können. Ich spürte, wie sich ihre Hand von hinten auf meine Schulter legte und sie drückte. Als ich mich umsah, hielt sie mir ihren Kiesel entgegen.
    In Eisenheim gibt es keine Farben, stand darauf und eine Sekunde später: Wir sollten nicht hier sein.
    Ich nickte, blieb jedoch nicht stehen. Das Licht tanzte flackernd über die Felswände, huschte mal hierhin, mal dorthin und lockte mich immer tiefer in die Erde hinein. Überhaupt hatte sich in mir ein Gefühl breitgemacht, das mich in seiner Fremdartigkeit faszinierte und erschreckte zugleich. Da war plötzlich diese pulsierende Leere in

Weitere Kostenlose Bücher