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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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nichts mehr aus meiner Zeit als Schlafende.«
    »An gar nichts mehr? An niemanden?«, fragte Katharina.
    Mit einem Sprint holte ich zu ihr auf. »So ist es«, sagte ich, als ich wieder neben ihr herging. Ich meinte, ein zufriedenes Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen. Oder war es Schadenfreude?
    »Nun, das hast du dir alles selbst zuzuschreiben. Du allein wolltest unbedingt zur Wandernden werden. Der Großmeister war dagegen. Es ist deine eigene Schuld. Ich kann nicht glauben, dass du ernsthaft erwartest, jetzt von allen hier wie ein rohes Ei behandelt zu werden«, wetterte Katharina. »Was denkst du dir dabei?«
    »Aber das erwarte ich doch gar nicht. Bist du eigentlich immer so ätzend drauf?«
    »Pah!«, machte Katharina.
    Wir stiegen eine Treppe hinab und standen schließlich in einem weiteren Flur, von dem zu beiden Seiten in regelmäßigen Abständen Türen abgingen. Vor einer von ihnen blieb Katharina stehen.
    »Du solltest endlich damit aufhören, dich dumm zu stellen«, schnaubte sie und ließ mich mit einem hingeworfenen »Hier ist es« allein.
    Einen Moment stand ich unschlüssig vor der Tür. Dann ergriff ich die geschwungene Klinke und drückte sie herunter. Ein muffiger Geruch schlug mir entgegen. Ich tastete nach dem Lichtschalter, fand ihn und erschrak.
    Mein Zimmer erwies sich als furchtbar. Furchtbar chaotisch. Obwohl der Raum sicher doppelt so groß wie mein Zimmer zu Hause war und außer einem Bett und einem Schrank keinerlei Möbel beherbergte, konnte man sich kaum darin bewegen. Überall lag oder stand etwas herum. Kleidungsstücke, Kisten, Kampfstöcke, zerknülltes Papier, schmutziges Geschirr, eine Apfelkitsche, ein altmodisches Radio, ein hölzernes Surfbrett. Zwischen all diesen Dingen hindurch bahnte ich mir einen Weg zum Bett, das vor dem einzigen Fenster stand, fegte ein Sweatshirt und eine Umhängetasche auf den Boden und setzte mich. In einer Art Nest unter der Decke entdeckte ich Sieben und seufzte.
    Das sollte also mein Zimmer sein? So hatte meine Seele gehaust? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Niemals hätte ich mich in diesem Durcheinander wohlgefühlt. Zwischen all diesem Kram, dem Müll, teilweise überzogen von einer Schicht aus Staub. Dem Geruch nach zu urteilen, musste irgendwo etwas schimmeln.
    Ich riss das Fenster auf und sog die eisige Nachtluft ein. Nein, unmöglich konnte dies mein Zimmer sein. Allein sein Anblick sorgte dafür, dass es in meinen Fingerspitzen zu kribbeln begann. Ohne es bewusst entschieden zu haben, griff ich nach dem nächstbesten Gegenstand, dem Pullover, der auf dem Bett gelegen hatte, und begann, ihn zusammenzulegen, wobei mir auffiel, wie groß er war. Definitiv viel zu groß für mich. Ich stutzte, zog den zusammengelegten Stoff wieder auseinander und betrachtete ihn. Nein, dieses Shirt konnte nicht mir gehören. Es war eindeutig ein Männerpullover. Einer, der den Duft von finnischen Nadelwäldern verströmte.
    Ich hängte ihn mit spitzen Fingern über eine der Kisten und wandte mich stattdessen dem Müll zu, den ich aufsammelte und in der Ecke hinter der Tür zusammentrug. Anschließend widmete ich mich den herumliegenden Klamotten, unter denen ich eine Art Abendkleid aus dunkler Seide entdeckte, dessen Stoff durch meine Finger floss. Die Robe war zart wie ein Spinnennetz, ein wenig zu tief ausgeschnitten, wie ich fand, aber wunderschön. Vorsichtig hängte ich sie in den Schrank und fühlte mich gleich besser.
    Ordnung tat gut, sie hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Eine Weile räumte und sortierte ich deshalb stupide vor mich hin, fand zwar keine weiteren Herrenpullover oder Ballkleider, dafür jedoch jede Menge schmutziger Socken, einige davon an den unmöglichsten Stellen (eingeklemmt im Fensterrahmen, also wirklich!).
    Eine Viertelstunde später befand sich das Zimmer in einem halbwegs annehmbaren Zustand. Nur das Bett hatte ich noch nicht gemacht, weil ich mit dem Gedanken spielte, mich hineinzulegen. Immerhin war ich nun schon recht lange in der Schattenwelt und mein Hirn fühlte sich vertrocknet an, so viele neue Informationen waren in den letzten Stunden auf mich eingeprasselt. Viel zu viele und nur die Hälfte von ihnen hatte ich verstanden. Ich war müde, ich hatte genug von all dem Gerede über Wandernde und Schlafende und darüber, was meine Seele nun getan hatte oder nicht. Ich wollte fort, zurück in mein Leben. Und ich fragte mich, was geschah, wenn ich mich einfach schlafen legte. Ob ich dann aufwachen würde?

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