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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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hindurch in Richtung Ausgang. Immerhin war ich klein und wendig und tatsächlich schaffte ich es zu einer nahe gelegenen Unterführung, in die sich kaum einer der Reisenden jemals verirrte. Für einen winzigen Augenblick hatte ich alle anderen hinter mir gelassen. Doch, nun ja, leider konnte ich im Gegensatz zu meinem Verfolger nicht fliegen. Sofort war er wieder bei mir. Die Schwingen strichen an den rauen Wänden entlang. Es war hoffnungslos, von Anfang an. Unter einem der Hiebe tauchte ich noch hinweg, dann wickelte sich die Peitsche um mein Fußgelenk und ich schlug der Länge nach hin. Mein Ellenbogen schürfte über den Asphalt, ich warf mich herum, wollte aufstehen, doch ich brauchte zu lange, um mich zu orientieren.
    Im nächsten Moment war der Reiter auch schon von seinem Pferd gesprungen und stand über mir, packte mich mit behandschuhten Händen.
    »Unser Herr wird erfreut sein, Sie endlich als seinen Gast begrüßen zu dürfen, kleines Fräulein«, verkündete er mit einem Lispeln. Sein Kopf ruckte immer wieder hin und her, während seine Augen mich mit stechendem Blick fixierten.
    Ich presste die Kiefer aufeinander, wand mich in seinem Griff, trat um mich. Das Schnauben des Schattenpferdes hallte von den Betonplatten wider und der Reiter machte Anstalten, mich hinauf auf den Rücken des Wesens zu hieven. Amadés gezeichnete Gestalt tauchte vor meinem inneren Auge auf und ich begriff, was immer dieser Fürst im Schilde führte, zu dem mich der Reiter bringen wollte, er würde nicht zimperlich sein, um an das Versteck des Weißen Löwen zu gelangen. Und ich hatte noch immer keine Ahnung von dieser ganzen Sache. Nein, er durfte mich nicht bekommen.
    Endlich brachte ich einen Ton hervor. »Lassen Sie mich los!«, schrie ich und wehrte mich heftiger. »Ich kann Ihrem Herrn nicht helfen. Ich will runter! Sie sollen mich sofort – hey, was machen Sie denn da? Aua!«
    Der Reiter hielt mich noch immer, unerbittlich. Mittlerweile hatte er mich quer vor sich über den Sattel des Monstrums gelegt, sodass der Knauf mir in die Brust stach. Und auch an meinem Oberschenkel spürte ich einen harten Gegenstand. Es war die schmale Sichel, die der Bettler mir geschenkt hatte. Sie steckte noch immer in der Hosentasche meiner Jeans. Bildete ich es mir nur ein oder ging tatsächlich ein Prickeln von dem kleinen Bogen aus? Besonders gut beschützt hatte mich das Ding bisher ja wahrlich nicht.
    Dennoch bäumte ich mich ein letztes Mal auf und bekam die Hand meines Entführers zu fassen. Das Pferd hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, als ich mit aller Kraft hineinbiss. Der Schattenmann heulte auf und ich glitt zu Boden, rollte mich ab und sprang auf die Füße.
    »Ha!«, rief ich. Rasch angelte ich die Sichel aus meiner Tasche hervor und staunte einen Wimpernschlag lang, denn sie leuchtete in einem kräftigen Blau, und wo meine Finger sie berührten, breitete sich ein Kribbeln auf meiner Haut aus, das langsam über meine Handgelenke hinweg über den Nacken bis zu der Stelle hinter meinen Ohren hinaufkroch. Die Sichel schmiegte sich in meine Hand, als wolle sie mit ihr verwachsen. Instinktiv begriff ich, was ich zu tun hatte, umfasste das glühende Metall mit beiden Händen und richtete es auf den Reiter.
    Hitze durchzuckte mich wie ein Schlag, als grelles Licht an der Spitze der Sichel explodierte und sich in die Gestalt des Mannes vor mir bohrte.
    Ich hörte ein erschrockenes Keuchen.
    »Nicht! Bitte!«, rief er noch, doch es war schon zu spät. Das Licht tauchte die Unterführung in ein Gleißen, gierig leckte es an meinen Verfolgern, während ich selbst mich in einem Kegel aus Dunkelheit befand. Im nächsten Moment brannten Reiter und Pferd lichterloh. Weiße Flammen züngelten über ihre Körper. Das Knistern war ohrenbetäubend, der beißende Gestank verbrannten Haares stieg mir in die Nase. Der Mann schrie gellend, das geflügelte Pferd wand sich in der Luft und wieherte vor Schmerz.
    Ich ließ die Sichel sinken und wich zurück. Gerade warf sich der Mann auf den Boden, wälzte sich auf dem Asphalt, während das Feuer seine Haut fraß, sein Backenbart sprühte Funken, das Fleisch schrumpelte zusammen und gab den Blick auf graue Knochen frei. Seinem Reittier erging es nicht viel besser. Der Zylinder rollte mir vor die Füße.
    Ich übergab mich krampfhaft, so lange, bis ich nur noch bittere Galle hervorwürgte.
    Als ich wieder aufblickte, hatten Pferd und Reiter aufgehört, sich zu wehren. Nur das Knacken der Flammen war

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