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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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durch. Würde wirklich alles wieder gut werden? Jemals in dieser merkwürdigen Welt? »Das alles ist so verwirrend.«
    Der Kanzler nickte. »Das ist es. Aber jetzt bin ich ja da, um Ihnen zu helfen«, sagte er. Wie von selbst wanderte sein Blick zurück zum Gemälde über der Tür. »Wir müssen den Weißen Löwen finden und wir werden es auch«, raunte er. Ein Funkeln trat in seine Augen und ich konnte nicht sagen, ob es Gier war oder einfach Faszination. Doch ich spürte, dass dieses Funkeln auch von mir Besitz ergriff, als mein Blick dem seinen folgte.
    Unscheinbar lag der Weiße Löwe auf seinem Kissen, ein Klecks auf einer Leinwand, ein Kiesel nur. Und doch das Wertvollste, was ich je gesehen hatte.
    Der Weiße Löwe war magisch, so viel stand fest.
    Und er rief nach mir.

15 UNTER BESTIEN
    Es war Freitagmorgen und zum ersten Mal in meinem Leben schwänzte ich die Schule. Na ja, mein Vater schrieb eine Entschuldigung, in der er behauptete, Marian und ich hätten uns einen grippalen Infekt eingefangen. Doch selbstverständlich waren wir nicht krank. Zwar war mir beim Aufwachen am Morgen noch immer ein wenig übel vom Mitternachtsmahl beim Eisernen Kanzler (vor allem, wenn ich an unser Gespräch im Arbeitszimmer dachte), aber ich hätte natürlich zur Schule gehen können. Ich wollte nur nicht.
    Denn heute begann das Treffen des Regierungsstabs.
    Gleich nach dem Frühstück fuhren mein Vater, Christabel, Marian und ich zur Volkshochschule, einem silbrigen Gebäude mit Glasfront mitten in der Innenstadt. Es lag gegenüber einer großen Buchhandlung und an jenem Platz, an dem zur Weihnachtsmarktzeit immer ein Riesenrad stand, so nahe an der VHS, dass es von unten so aussah, als würden die Gondeln die Fenster zertrümmern.
    Heute saß allerdings lediglich ein Penner mit einer Bierflasche und einer löchrigen Wolldecke auf dem Burgplatz und starrte auf einen schwarzen Labrador, der an einem Laternenpfahl roch. Gebannt, als wäre es das aufregendste Ereignis des Tages. Der Mann sah nicht einmal auf, als wir an ihm vorbeigingen. Und auch nicht, als sich zwei Männer in Anzügen, die meinen Vater mit einer Verbeugung begrüßten und mich unverhohlen anstarrten, mit einer Kiste von der Größe einer Waschmaschine zwischen ihm und dem Hund hindurch zum Eingang schlängelten.
    Der Stab traf sich dreimal im Jahr in der realen Welt (»Um sich die doppelte Verantwortung unserer Regierung bewusst zu machen«, hatte mein Vater mir erklärt) und bestand aus etwa fünfzig Personen. Die meisten von ihnen waren Männer und keiner von ihnen sah aus, als wäre er ein Freund von Bodenwelsen und ihrer artgerechten Haltung, über die mein Vater heute offiziell sprechen sollte. Mit ihren bunten Krawatten und dazu passenden Anstecknadeln wirkten sie eher wie Politiker, die das Emblem ihrer Partei am Revers trugen. Tatsächlich schienen sie so etwas wie ein Parlament zu bilden, denn sie nahmen in nach Krawattenfarben sortierten Grüppchen Platz im großen Konferenzraum in der ersten Etage und nippten an ihren Wassergläsern, während Papierstapel herumgereicht wurden.
    Mein Vater und ich setzten uns an die Stirnseite des Tisches, flankiert von Christabel und Marian, die ziemlich eindrucksvoll einen auf Bodyguard machten (starrer Blick, reglose Gesichtszüge und Headsets).
    »Guten Morgen, meine Herren. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Hiermit erkläre ich die zwölfte Sitzung in der 287. Wahlperiode für eröffnet«, sagte mein Vater, während die einzelnen Fraktionen ihre Köpfe zusammensteckten.
    Ich erkannte spanische, englische und französische Wortbrocken im Gemurmel und etwas, was ich für Japanisch hielt. Anscheinend hatten alle ihre eigenen Übersetzer mitgebracht. Es dauerte noch einen Augenblick, dann endlich applaudierten die Abgeordneten und mein Vater fuhr fort: »Dies ist meine Tochter, Prinzessin Flora. Sie ist erst vor Kurzem aufgeweckt worden. Wenn die … Dinge sich ein wenig beruhigt haben, werde ich sie offiziell in die Gesellschaft der Wandernden einführen.«
    »Äh, hallo«, sagte ich.
    Wieder setzte Gemurmel ein und dieses Mal dauerte es deutlich länger an. Vor allem weil nicht nur die Übersetzer sprachen, sondern auch die Parlamentsmitglieder untereinander zu diskutieren begangen. Erst geschlagene fünf Minuten später gelang es meinem Vater, »Ich bitte nun Herrn Osaka, die heutige Tagesordnung zu verlesen« dazwischenzuwerfen.
    Leider stellte sich heraus, dass besagte Tagesordnung aus 87

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