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Stadt aus Trug und Schatten

Stadt aus Trug und Schatten

Titel: Stadt aus Trug und Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechthild Gläser
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stets, mich in dem Moment, in dem ich die Schattenwelt erreichte, ganz tief in diese ekeligen Decken hineinzuwühlen. Rasch richtete ich mich auf.
    »Ich wünsche einen wunderschönen guten Abend.«
    Ich zuckte zusammen.
    Am Fußende saß der Eiserne Kanzler lächelnd und erschreckend gut aussehend, trotz seines Rüschenhemds und der Satinschleife, mit der er sein Haar zusammenhielt. Oder vielleicht auch gerade deswegen.
    »Äh«, sagte ich und zog mir die Bettdecke vor die Brust. Natürlich war ich angezogen – sicherheitshalber sah ich an mir herunter und entdeckte erleichtert das kratzige Kleid –, aber dass der Kanzler mich beim Aufwachen beobachtete, war trotzdem … peinlich und ganz schön unverschämt! Auch wenn es eher einem Mausoleum glich, das hier war immer noch mein Schlafzimmer. »Was tun Sie hier?«
    »Oh, ich war auf der Suche nach einer anregenden Unterhaltung und da sind Sie mir eingefallen.« Er strahlte mich an.
    »Ach?« Ich zog die modrige Spitzendecke unnötigerweise noch ein Stück höher.
    »Natürlich. Wir kennen uns schließlich erst seit Kurzem. Sie werden sicher verstehen, dass ich etwas über die zukünftige Fürstin wissen möchte. Das will jeder in der Stadt, seit das Gerücht Ihrer Heimkehr durch die Straßen geistert.«
    Ich runzelte die Stirn.
    »Zum Beispiel würde es mich brennend interessieren, was Sie dazu bewogen hat, sich heute Vormittag ohne Not in Lebensgefahr zu begeben«, erklärte er.
    »Nichts«, sagte ich leichthin. »Ich war spazieren und plötzlich waren da diese Monsterspinnen. Keine Ahnung, weshalb sie ausgerechnet mich angegriffen haben. Vielleicht, weil ich eine Wandernde bin.«
    »Na, na, na«, machte der Kanzler. »Nicht doch.« Auf seinen sonst so engelsgleichen Zügen lag jetzt etwas Wölfisches. »Und was war das mit dem Polarschatten? Waren wir uns nicht darüber einig, dass wir zusammenarbeiten wollen? Ich erkenne es, wenn man mich anlügt, Flora.«
    »Und ich weiß so gut wie nichts über die Schattenwelt und ihre Auswirkungen auf die reale Welt. Vielleicht hatten die Spinnen einfach nur Hunger? Und der Ritt auf dem Bären war ganz sicher nicht meine Idee«, schnaubte ich. Was fiel ihm ein, jeden meiner Schritte zu überwachen? Hielt er mich etwa für eine Art Staatsfeind?
    Der Kanzler lachte ein eisiges Lachen. »Einer meiner Männer hat es genau gehört: Sie haben nach den Sirenen gerufen. Warum?«
    Die Schärfe seiner Worte riss mich aus meiner Erstarrung. Endlich konnte ich mich dazu durchringen, die Decke zurückzuwerfen. Ich schwang meine Beine über die Bettkante und strich mein Kleid glatt.
    »Mein Vater erwartet mich«, sagte ich, erhob mich würdevoll und wollte an ihm vorbeigehen, als die Hand des Kanzlers plötzlich hervorschnellte und sich um meinen Arm krallte. Unsanft zog er mich an sich.
    »Der Fürst ist nicht da«, sagte er leise, es war kaum mehr als ein Flüstern gleich neben meinem Ohr. »Und nur damit du es weißt, du kleines Miststück: Er vertraut mir mehr als sonst einem Menschen auf der Welt.«
    Stocksteif stand ich da, versuchte, Haltung zu bewahren, und fand endlich meine Sprache wieder. »Auf welcher Welt?«, fragte ich mit süffisantem Unterton. »Bei uns zu Hause in Essen hat er Sie jedenfalls noch nie erwähnt.«
    Die perfekt geschwungenen Lippen des Kanzlers kräuselten sich zu einem Lächeln. »Sie werden schon noch erkennen, dass wir beide auf derselben Seite stehen. Ich will Ihnen helfen, vergessen Sie das nicht«, sagte er, plötzlich wieder freundlich. »Also: Was haben Sie vor?«
    Ich sah ihm in die Augen, bemüht um einen unschuldigen Gesichtsausdruck. »Gar nichts.«
    Wieder lachte der Kanzler.
    Mit einem Ruck befreite ich mich aus seinem Griff. Ich funkelte ihn an. Dann eilte ich ohne ein weiteres Wort davon, quer durch das Zimmer, durch die Tür, den Gang entlang und durch das Treppenhaus bis zum Hauptportal des Palastes.
    Der Kanzler folgte mir nicht. Weder drohte er mir, noch rief er mir wüste Beschimpfungen hinterher. Hinter mir war nichts als Staub und Schweigen. Und das sanfte Sirren von Sieben. Wahrscheinlich saß der Kanzler immer noch auf der Kante meines Himmelbetts. Ich hatte es ihm gezeigt und er … er ließ mir meinen Triumph, als wäre er überhaupt nicht angewiesen auf das, was ich wusste oder vielleicht schon bald wieder wissen würde. Als spielte er nur mit mir.
    Und das war es, was mich am meisten beunruhigte.
     
    Auf dem kaputten Kopfsteinpflaster standen Pfützen, die mit Eiskrusten

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