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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bayer
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zerfressen, als hätten ihn die Mäuse zernagt, störte sie nicht.
    Am Fenster, dem Kanal zu, stand eine Figur, eine fremde Figur. Sie trug eine Maske. Ihre Kleidung war kein Karnevalskostüm, weder ein arlecchino , ein Clown, noch überhaupt eine Figur der commedia . Es war ein Kostüm, wie sie nie eines zuvor gesehen hatte: blaugrüne, matt seidene Gewänder, wie die Farben des Meeres an fernen Gestaden. Dazu trug sie eine glitzernde Maske in den gleichen Farben, in denen sich das Kerzenlicht brach, sodass sich die Farben wie ein Kreisel auf der Wand spiegelten. Der kunstvolle Hut aus grünblauem Samt war, wie bei einem Sultan, mit einem dicken Wulst umgeben, darüber waren Perlenschnüre gewunden, Spitzentüll verhüllte einen Teil der grünen Maske.
    Crestina blieb an der Treppe stehen. Die Maske wandte sich langsam um und kam auf sie zu. »Wer seid Ihr?«, fragte sie leise.
    »Weder Mann noch Weib«, schrieb die Maske auf eine kleine Tafel, die sie Crestina entgegenhielt.
    »Woher kommt Ihr?«
    Die Maske wischte die Tafel frei.
    »Von einem anderen Stern«, schrieb sie dann.
    »Wie können wir miteinander reden, wenn Ihr von einem anderen Stern kommt?«
    Die Maske ließ ein leises Lachen in sich aufsteigen und bot ihr den Arm.
    »Ich habe Venezianisch gelernt. Dort oben bei uns«, schrieb er dann auf das Täfelchen. »Ich habe ein galaktisches Essen vorbereitet aus Dingen, die es nur auf unserem Stern gibt und deren Zusammensetzung hier unten nicht bekannt ist.«
    Er führte sie an den Tisch, der in der Mitte der einen Seite der sala aufgestellt war, die durch einen Vorhang den Eingang zu einer Tür verdeckte. Hinter dem Vorhang erschienen, von unsichtbarer Hand gereicht, Platten, Schüsseln, Schalen mit Gerichten, die sie nicht kannte. War eine der Schüsseln leer, so stellte die Maske sie auf eine Bank, die von unsichtbaren Händen zurückgezogen wurde.
    Das Essen verlief schweigend. Und verkehrt herum. Man begann mit dem Nachtisch, begab sich dann an das Hauptgericht und endete bei der Vorspeise.
    Das, was sie aß, hätte sie nicht bezeichnen können. Es schmeckte exotisch, konnte von Tieren stammen, die sie nicht kannte.
    »Gebt Euch keine Mühe«, sagte Renzo, »Ihr habt ganz gewiss bisher noch nie Elch gegessen.«
    Als die Teller abgeräumt waren, überreichte ihr die Maske ein mit Rosenwasser gefülltes Duftei, das Crestina lachend in Empfang nahm.
    »Wenigstens sehe ich diese Dinge einmal, bevor sie den Frauen auf die Kleider geworfen werden.«
    »Wie geht es weiter?«, wollte sie wissen, als das Essen beendet war.
    Die Maske stand auf, reichte ihr die Hand.
    »Dürfte das nicht klar sein? Wir werden das tun, was alle anderen jetzt auch tun: tanzen. Dazu nehmen wir die Musik von Castello, die ist schöner als die von Cannaregio.«
    Sie lachte. »Die von Cannaregio könntet Ihr ohnehin nicht nehmen, das ist viel zu weit weg.«
    »Ihr wohnt am anderen Ende von Cannaregio, da könnte man es nicht hören, das stimmt.«
    Sie schüttelte ungläubig den Kopf.
    »Wisst Ihr etwa auch, wie die Leute heißen, bei denen ich wohne?«, spottete sie.
    »Den Namen der jetzigen nicht, den der vorherigen schon. Im Übrigen habt Ihr Euren Wohnsitz ziemlich oft gewechselt. Aber davon wollen wir jetzt gewiss nicht reden. Und wir nehmen das Kaminzimmer zum Tanzen, es ist zwar alles andere als gemütlich, aber ich denke, es ist auf jeden Fall besser als hier in der sala , wo wir uns auf dem aufgerissenen Mosaikboden möglicherweise die Beine brechen würden.« Er ging ihr voraus, sie durchquerten die Kapelle, betraten das Kaminzimmer.
    Und begannen zu tanzen.
    Nach einer Weile führte er Crestina zu einem tiefen Sessel vor der Feueröffnung. Von unten erklangen Stimmen, eines der Holzscheite zerbrach, Funken stoben in den Raum, irgendwo erklangen die Töne einer Harfe.
    »Ihr könntet mir etwas vorlesen«, sagte die Maske in die Stille hinein.
    »Vorlesen?«
    »Wäre das so falsch?«
    »Nein«, erwiderte Crestina zögernd. »Ich wüsste nur nicht, was.«
    Renzo deutete an die Wand gegenüber, die bis zur Decke mit Büchern gefüllt war. »Reichen die für eine Nacht?«
    Sie lachte, stand auf, ging zu dem Regal.
    »Wartet«, hielt Renzo sie zurück, »ich habe eine bessere Idee. Ich hörte, Ihr schreibt Gedichte?«
    Sie schluckte. »Von wem wisst Ihr das?«
    »Ist das wichtig zu wissen?«
    »Vielleicht nicht«, sagte sie nach einer Weile.
    »Ich nehme an, dass es Sonette sind?«
    »Ja.«
    »Könnt Ihr eines

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