Stadt der blauen Paläste
Riccardo auf der Pestinsel begraben hatten. Danach war sie lange Zeit in Konstantinopel gewesen, und der Kontakt mit der Freundin war abgebrochen. Aber sie hoffte auf ein Wiedersehen, um jemanden zu haben, mit dem sie reden konnte.
Aber heute schien nicht unbedingt der Tag der Gespräche zu sein, wie sie nur kurze Zeit später an der Pforte erfuhr: Clara hatte das Kloster bereits seit langem verlassen und war nach Sizilien zur Pflege einer Großmutter gezogen, den Ort kannte man nicht.
15. Tod einer Passiflora
»Was hattest du heute Vormittag auf meinem Schiff verloren?«
Crestina erschrak so sehr, dass ihre Tasse mit Tee, die sie soeben auf ihrer Bank am Seerosenbecken trinken wollte, überschwappte und die Flüssigkeit zur Hälfte in das Becken kippte.
»Das werden deine Fische wohl kaum mögen«, bemerkte Bartolomeo grinsend und warf eine welke Blüte in einen Abfalleimer, der neben dem Becken stand.
»Ich hatte auch keinesfalls vor, sie damit zu füttern«, sagte Crestina zornig. »Außerdem wüsste ich gerne, was du hier auf meiner Terrasse verloren hast? Und vor allem, was du hier gerade mit meiner Passiflora veranstaltest?«
»Ich habe nur eine verblühte Blume ordnungsgemäß in den Abfalleimer gelegt«, sagte Bartolomeo mit einer grandiosen Handbewegung und deutete dabei auf den Eimer, der neben dem Becken stand. »Ich nahm an, dass es in deinem Sinne ist, nachdem hier ja nun offensichtlich ein anderer Geist herrscht.«
Crestina hatte die Terrasse bei ihrer Rückkehr in einem Zustand vorgefunden, der annehmen ließ, dass hier über Jahre hinweg niemand das Gefühl gehabt hatte, zu diesem Palazzo gehöre auch ein Minimum an Gespür für einen Garten und für Schönheit. Sie hatte Jacopo das nahezu fast völlig verfallene Becken wieder herrichten lassen, hatte Seerosen und Fische hineingesetzt und außerdem eine im Laufe der Zeit völlig verwilderte Passiflora, die eine Säule umrahmte, gebändigt. Eine der Blüten hatte sie in eine Schale zwischen weißen Kieseln angeordnet, die in der Mitte eines kleinen Tischchens stand. Und genau diese Blüte hatte Bartolomeo soeben in den Eimer geworfen.
»Was machst du überhaupt hier?«, fragte Crestina erbost und holte die Blüte aus dem Eimer zurück.
»Sie war welk«, erwiderte Bartolomeo irritiert.
»Ob welk oder nicht welk, ich habe sie beobachten wollen. Und es war nicht deine Passiflora.«
»Ja, ja, ich weiß. Nicht meine Passiflora, nicht meine Bank, nicht meine Terrasse. Aber doch wohl mein Schiff, auf dem du heute Morgen warst, oder?«
»Ich habe sie beobachten wollen«, wiederholte Crestina hartnäckig.
»Beobachten? Eine welke Passiflora?« Er verzog das Gesicht. »Hast du nichts Besseres zu tun?«
»Ich wollte sehen, wie lange eine Blüte geöffnet bleibt, nachdem man sie abgeschnitten hat«, sagte sie widerstrebend.
»Und, wie lange bleibt sie geöffnet?«, fragte Bartolomeo ernsthaft.
»Eben das weiß ich ja nun nicht, weil du sie in den Eimer geworfen hast«, sagte Crestina erbost. »Vermutlich nur einen Tag.«
»Gut, ich hoffe, du kannst deine Versuche über den Todeskampf von Passiflorablüten mit Erfolg weiter fortführen. Und dabei deinen sentimentalen Erinnerungen nachhängen.«
Crestina kniff die Augen zusammen.
»Was meinst du damit?«
»Nun, früher hatte Riccardo dir jeden Morgen eine soeben frisch gepflückte Blüte in eine Wasserschale neben deinen Teller gelegt. Ihr habt gemeinsam das Öffnen der Blüte beobachtet und anschließend fielst du ihm jedes Mal um den Hals und beteuertest ihm deine Liebe. Da diese Geste der morgendlichen Blüte neben deinem Teller in deinen Augen die durch nichts zerstörende überdauernde Liebe zwischen euch beiden war.«
Er lachte auf.
»Ohne all das, was normalerweise zwischen Liebesleuten dazugehört.«
»Das ist nicht wahr«, wehrte sich Crestina, aber wenig überzeugend.
»Es ist sehr wohl wahr, schließlich saß ich jedes Mal daneben. Und hätte mich genauso wie du über eine soeben geöffnete Blüte gefreut oder deine Arme um meinen Hals gespürt, natürlich nur, falls ich der vornehme Kavalier gewesen wäre, der schon am frühen Morgen seiner Herzallerliebsten ein Präsent macht.«
Bartolomeo ging ein paar Schritte auf der Terrasse entlang und kehrte wieder zurück.
»Und jetzt würde ich wirklich gern wissen, was du heute Morgen auf meinem Schiff gemacht hast, wen oder was du dort ausspionieren wolltest? Du hattest kein Recht, es zu betreten. Ich nehme an, als Frau eines Reeders
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