Stadt der blauen Paläste
Dabei flüsterte er irgendwelche Sätze vor sich hin, die sie nicht verstand, aber auf ihre Frage kam nichts weiter als ein erneutes Flüstern. So, als seien hundert Spione hier auf dem Schiff, die nur darauf warteten, jemanden zu entdecken.
Yairo hatte Crestina inzwischen den Niedergang hinuntergeschoben, und hier waren Stimmen zu hören. Stimmen junger Matrosen, wie sie annahm, die das Schiff reinigten. Aber als sie im Zwischendeck ankamen, sah sie, dass hier keine Matrosen mit Putzarbeiten beschäftigt waren, sondern Schwarze mit einer anderen Arbeit. Sie waren soeben dabei, die Ketten auf der gesamten Fläche des Schiffes an den Kettenverankerungen zu verteilen, wobei sich der eine oder andere der Jungen spielend eine der Ketten um Hand oder Fuß legte, sich stöhnend auf den Boden niederließ und dann lachend wieder aufstand. Ein anderer hob einen großen Trichter empor und zwang einen kleineren Jungen vor ihm niederzuknien. Dann schob er ihm den Trichter in den Mund und prustete vor Lachen, als der Kleinere unter Würgen an dem Trichter saugte. Wieder andere waren soeben dabei, anderen ein Brenneisen auf den Rücken zu drücken, sodass diese aufjaulten und sich dann lachend im Kreise herumdrehten und »Runaway, runaway« schrien.
Crestina blieb entsetzt an der Treppe stehen. Sie begriff, dass das gesamte Zwischendeck wohl als Sklavenunterkunft gedacht war, das soeben mit einer hauchdünnen Schicht von Stroh bedeckt wurde. An den Seitenabgängen waren Blechnäpfe übereinander geschichtet, die ein Junge jetzt auf die einzelnen Plätze verteilte, dicht an dicht, sodass kaum vorstellbar war, dass hier zwei Menschen nebeneinander liegen konnten.
Der Junge, der sie hierher gebracht hatte, streckte ihr nun die Hand entgegen. Es war klar, dass er nun für diese ›Theateraufführung‹, die er der Signora geboten hatte, bezahlt werden wollte.
Bevor Crestina jedoch in ihrem Retikül nach ein paar Münzen suchte, erschallten über ihnen Männerstimmen. Das Lachen der Jungen verstummte in der gleichen Sekunde. Schritte kamen auf den Niedergang zu, Crestina drehte sich um und wollte hastig nach oben steigen, sodass sie mit einem Mann fast zusammenstieß. Sie entschuldigte sich, der Mann sah sie verblüfft an. Er trug eine Offiziersuniform, und sie erkannte an den beiden goldenen Tressen, dass es sich um den gleichen Mann handelte, den sie neulich mit Bartolomeo auf ihren Schiffen gesehen hatte.
Sie entschuldigte sich ein zweites Mal, erklärte, dass sie ihren Sohn suche.
»Clemens Grimani?«, fragte der Mann verblüfft. »Ihn werdet Ihr ganz gewiss hier nicht finden, Ihr habt Euch wohl auf dem Schiff geirrt. Dies hier ist die ›Bartolo‹, und sie gehört ganz gewiss nicht zu Euren Schiffen«, sagte er dann mit einem leichten Lächeln.
»Ja, das denke ich auch«, erwiderte Crestina leise. »Wem gehört es denn?«
»Nun, Signor Ribatto«, erwiderte der Mann kopfschüttelnd, so, als sei es unverständlich, dass jemand in dieser Stadt seinen Herrn nicht kannte.
»Signor Ribatto«, wiederholte Crestina und runzelte die Stirn. »Den kenne ich gewiss nicht.«
»Ihr habt Euch aber neulich mit ihm unterhalten«, sagte der Offizier verblüfft. »Ich glaubte sogar zu hören, dass Ihr mit ihm verwandt seid.«
Crestina dachte nach, und murmelte vor sich hin, dass sie es wohl vergessen habe müsse.
»Oder meint Ihr etwa Bartolomeo?«, fragte sie dann nach einem Augenblick ungläubig.
»Für uns ist er Signor Ribatto«, sagte der Mann höflich. »Bartolomeo dürfte wohl sein Vorname sein.«
»Ich muss rasch weiter«, sagte Crestina hastig. »Wie gesagt, ich suchte meinen Sohn Clemens.«
Der Offizier verneigte sich höflich und begleitete sie zur Schiffsrampe. Von unten war inzwischen ein inbrünstiges, wenn auch ziemlich falsch gesungenes Kirchenlied zu hören.
Als Crestina zu ihrem Schiff kam, sah sie Clemens mit dem Kapitän in ein Gespräch vertieft und hatte das Gefühl, dass sie hier nicht unterbrechen konnte. Sie drehte sich um und schlug einen Weg ein, den sie seit Jahren nicht mehr gegangen war: den Weg zu einem Ort, an den sie nicht unbedingt positive Erinnerungen hatte: ein Kloster, in dem einst vor Jahren ihre Freundin Clara gelebt hatte. Und das, nach dem Wunsch der Eltern, auch ihr Kloster hätte werden sollen.
Sie erinnerte sich mit aller Deutlichkeit an jenen Tag, an dem ihre Mutter und ihr Vater sie zu einem Spaziergang mitgenommen hatten, obwohl dieser Spaziergang zu dieser Tageszeit sie bereits
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