Stadt der blauen Paläste
dazugehören und – ach, ich weiß es einfach nicht mehr. Josef, wenn ich mich recht erinnere. Und dann gibt es einen, den habe ich mir ohnehin nie merken können. Irgendetwas, was so klang wie Isfahan.«
»Also Isfahan«, wiederholte Crestina gehorsam.
Aber Bianca wehrte ab.
»Es klang nur so. Aber, ich glaube, es sind jetzt schon elf, oder?«
»Ruben, Simon, Levi, Juda«, wiederholte Crestina und zählte an ihren Fingern ab, bisweilen von Bianca unterbrochen.
»Ja, es sind elf.«
»Ich habe Hunger«, schluchzte Bianca irgendwann in die zwölf Stämme hinein, auch wenn sie nicht vollständig waren, und drückte ein Amulett an ihre Stirn. »Hast du etwas für mich zu essen?«
Es dauerte Tage, bis Bianca willens war, wieder mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ihr Bruder Ludovico brachte ihr das Essen in ihr Zimmer. Die Scham, mit ihrer Mutter zu reden, war wohl mehr als groß, nachdem sie sie so auf dem Boden sitzend im Ghetto aufgefunden hatte. Und mit dem Geburtstag der Tante in Pellestrina hatte sie auch gelogen.
Als sie schließlich in die Küche kam, blieb sie neben dem Tisch stehen, auf dem ihre Mutter soeben einen Kuchenteig in eine Form goss.
»Willst du ausschlecken?«, fragte sie freundlich und streckte Bianca die Rührschüssel entgegen.
Bianca steckte den Finger mit Teig in den Mund, ein Teil der Masse tropfte dabei auf den Boden. Bianca nahm einen Lappen und wischte es auf.
Das ist neu, dachte Crestina und runzelte die Stirn.
»Da ist ein ganz tiefes Loch«, murmelte Bianca nach einer Weile vor sich hin, während sie weiter die Teigschüssel ausschleckte und dabei auf ihre Brust deutete, »ganz tief. Verstehst du das?«, fragte sie dann und schaute ihre Mutter zum ersten Mal an.
Crestina seufzte und setzte sich auf einen Stuhl.
»Ich denke schon. Zumindest versuche ich es.«
»Und wenn du jetzt wissen willst, wie der Geburtstag bei Tante Ros in Pellestrina war: Ich war gar nicht dort.«
Crestina nickte.
»Das dachte ich mir schon.« Aber sie fragte nicht weiter.
»Ich war aber auch nicht bei Lea«, fuhr Bianca fort und schleckte weiter.
»Und weshalb nicht?«
»Ich wollte nicht, dass du Lea für alles verantwortlich machst. Es war schließlich meine Entscheidung.«
Sie hob die Schüssel an den Mund und schleckte sie aus.
»Ich war diese beiden Tage bei einem Kerzenmacher, einer streng religiösen Familie, die ich von meinen Besuchen bei Lea her kannte. Sie hatten ihren Stand auf dem großen Platz, da, wo du mich gefunden hast. Und sie gehörten zu jenen, die all ihre Habe verkauft hatten, um dem Messias nach Jerusalem folgen zu können. Aber nun haben sie nichts mehr.«
Bianca stellte die Schüssel auf den Tisch und wischte sich den Mund ab.
»Sie hätten mich auch mitgenommen nach Jerusalem.«
»Und?«
Bianca zögerte.
»Ich wollte es nicht. Ich bin ja nicht übergetreten, ich war ja nicht übergetreten. Es erschien mir dann plötzlich als Lüge. Aber ich habe zwei Tage mit ihnen gefastet, deswegen hatte ich auch solch einen Hunger.«
Crestina stand auf und schob den Kuchen in den Ofen.
»Und jetzt?«
»Jetzt?«
Bianca nahm einen Lappen und wischte den Tisch sauber.
»Jetzt gehe ich mit Margarete ins Weihrauchland«, sagte sie dann leise. »Sie hat mich dazu eingeladen.«
»Vielleicht vergesse ich ihn dann auch eines Tages«, schob sie nach und wischte sich über die Augen.
Crestina hütete ihre Zunge. Verschwieg, dass die Sache mit dem Weihrauchland ihre Idee gewesen war, und hoffte, dass es vermutlich noch eine ganze Weile dauern würde, bis diese Idee umgesetzt werden könne. Aber immerhin begann Bianca bereits am nächsten Tag aufzulisten, was sie an Kleidern für die Wüste nötig hätte. Und sie lobte die Idee, dass sie nun ganz gewiss kein enges Leibchen mehr brauchen würde.
Crestina schüttelte den Kopf. Kein enges Leibchen mehr für die Wüste. So einfach sollte das alles sein?
17. Der Markt mit der schwarzen Ware
Es war Crestina klar, dass der Markt der Sklaven, der Gondelbauer, der Türkenkrieg und die Übergabe der Reederei an ihren Sohn Clemens ganz gewiss nichts miteinander zu tun hatten. Dass allerdings alles am gleichen Tag geschah oder zur Sprache kam, war etwas, dem sie sich nicht hatte entziehen können.
Begonnen hatte alles damit, dass Clemens bereits beim Morgenessen – wie schon so oft – der Meinung gewesen war, es sei nun an der Zeit, dass seine Mutter ihm endlich die Verantwortung für die Reederei überlassen sollte.
»Vater
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