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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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Ähnliches bei dem Mann entdecken konnte. Und plötzlich war sie auch nicht mehr ganz sicher, wer von ihnen beiden den Anfangssatz sagen sollte.
    Nach einer ganzen Weile, als sie bereits das Gefühl hatte, dass die Kälte ihre Beinkleider durchdrang, sah der Mann sie prüfend durch seine dicke Brille an.
    »Falls Ihr Euch für den Rosengarten interessiert, müsst Ihr in die andere Richtung gehen«, sagte er dann mit einer schleppenden Stimme, die allerdings nicht gebrechlich wirkte, eher kraftvoll.
    Sie nickte, bedankte sich und sagte dann, das sei ja heute wohl die falsche Zeit. Die Rose, die sie bewundern wolle, blühe nur einmal im Jahr.
    »Sie ist wohl eine rosa alba. Sie heißt ›Riccardo‹.«
    Der alte Mann wandte sich ihr entrüstet zu.
    »Ganz gewiss keine rosa alba. Es ist eindeutig eine rosa gallica.« Und von einer Rose, die ›Riccardo‹ heiße, habe er noch nie gehört.
    Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Sie ist in einem englischen Kräuterbuch beschrieben, schon vor mehr als dreißig Jahren«, beharrte sie.
    Der alte Mann machte eine unkontrollierte Bewegung, sodass sich sein Mantel entfaltete und ein brauner Ledersack dabei auf den Boden rutschte. »Entschuldigung, im Alter wird man manchmal etwas zittrig«, sagte er dann und blickte sie Hilfe suchend an.
    Crestina bückte sich und hob den Ledersack auf die Bank, aber so, dass ihr eigener Sack nun auf der Seite des alten Mannes lag, der sich umständlich bedankte und meinte, es sei heute kalt. Er habe bereits eiskalte Finger, und seine Füße seien geradezu Eisklumpen.
    Crestina beugte sich höflich zu ihm hinüber. Auch sie wolle gleich gehen, aber sie lasse ihm den Vortritt.
    Der alte Mann stand wackelig auf, nickte ihr freundlich zu und murmelte ein Dankeschön. Dann trippelte er mit einem Altmännerschritt wieder auf den Weg zurück.
    Crestina atmete auf und nahm den anderen Ledersack, der nun neben ihr lag. Dann ging sie rasch in der anderen Richtung davon.
    Der Heimweg verlief weniger glimpflich als der Hinweg. Crestinas Pferd scheute an einer unübersichtlichen Stelle an der Brenta und warf sie in hohem Bogen ab. Dann galoppierte es mit wilden Sprüngen davon. Ein Bauer, der Crestina kurze Zeit später mit geschwollenem Knöchel fand, brachte sie auf einem Karren in sein Haus und schickte einen Boten in den fondaco. Eine Stunde später erlöste sie Margarete und ließ sie in einer Sänfte nach Hause bringen.
    »Du darfst sicher sein, dass damit deine gefährlichen Unternehmungen ein Ende haben«, sagte sie kopfschüttelnd, »oder etwa nicht?«
    »Bist du noch nie von einem Pferd gefallen?«, wollte Crestina wissen.
    »Das schon, aber kaum mit diesem ganzen Wust von gefährlichem Beiwerk: Bücherschmuggel auf der Lagune, mit dem Pferd in den Rosengarten nach Padua im harten Frost und Losungsworten, die vollkommen absurd sind: rosa alba, rosa damascena, rosa gallica.«

11. Moise
    Der Nebel an diesem Morgen ließ die Stadt nahezu versinken unter einem weißen, bauschigen Tuch. Die Geräusche waren verstummt, so, als hätte der Nebel nicht nur die Sicht der Stadt genommen, sondern auch deren Stimme.
    Die Leute, die Crestina in den Straßen entgegenkamen, hatten Tücher um den Mund gebunden, damit die Feuchtigkeit sie verschonen sollte. Aber die Feuchtigkeit ließ sich nicht abhalten. Sie schwamm in Schwaden heran und durchdrang jeden Schutz, so kunstvoll er auch angebracht war.
    Crestina hatte Lea versprochen, an diesem Morgen bei ihr im Buchladen vorbeizukommen, aber dann hatte sie sich in der Druckerei verspätet, und so hastete sie nun – ebenso vermummt wie die Übrigen – über den großen Platz des ghetto nuovo, der zu dieser Stunde und an diesem Tag mehr als überfüllt war: Es war Freitag.
    Sie hatte den Platz mit den Verkaufsständen schon fast überquert, als sie an einem der letzten Stände der zahlreichen Kleiderhändler fast über einen Stuhl fiel, der mitten im Weg stand.
    Auf dem Stuhl saß Lea. Und da sie keine dieser üblichen Vermummungen um den Mund trug, war sie auch ohne weiteres zu erkennen. Crestina stockte, berührte Lea, die in eine andere Richtung blickte, an der Schulter. Lea zuckte zusammen, wandte sich um und warf dabei fast ihren bis an den Rand gefüllten Einkaufskorb um. »Na endlich«, sagte sie dann erleichtert, »ich dachte schon, du … oh, du bist es!«, korrigierte sie sich, als sie Crestina erkannte. »Ich konnte leider nicht mehr länger zu Hause warten. Du warst nicht zur verabredeten Zeit da,

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