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Stadt der blauen Paläste

Stadt der blauen Paläste

Titel: Stadt der blauen Paläste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: bayer
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atmete tief, »weißt du überhaupt, was er werden will? Wovon er träumt? Messias will er werden, eines Tages. Messias! So als sei das ein Beruf wie etwa Bäcker oder Metzger!«
    Sie ließ ihn abrupt stehen und ging die paar Schritte zu der limonaia.
    »Unser Gespräch ist noch nicht zu Ende!«, rief ihr Bartolomeo wütend nach, »noch lange nicht! Und du wirst es eines Tages bereuen, dass du mich wie einen Bettler hier stehen gelassen hast. Und es wird dann niemanden geben, der dir beistehen wird, niemanden! Und dass es für Frauen verboten ist, in Männerkleidern durch die Lande zu reisen, wirst du gewiss auch wissen! Das weiß sogar unsere einfältige Nachbarin und dieser Kugler!«
    Sie schloss die Tür auf und verdeckte das Fenster mit einem Tuch, wie sie es manchmal tat, wenn die Hitze zu stark in den Raum drang. Dann warf sie ihre Schuhe ab und legte sich auf ihr Bett. Sie blieb liegen, sie wusste nicht, wie lange. Aber sie hatte das Gefühl, dass Zypern näher rückte. Auch wenn sie diese Entscheidung nie aus dieser Sicht in Erwägung gezogen hatte.

20. Messiasträume
    Am Abend im Palazzo spielte sich stets das gleiche Abschiedszeremoniell ab: Moise rannte die sala entlang, die endlos erscheinende Strecke hin, dann zurück, wieder hin, und zurück – gewiss mehr als zehnmal.
    »Hier kann er endlich richtig rennen«, sagte Lea entschuldigend zu den beiden Frauen, »im Ghetto zwischen all den Hunderten von Leuten auf dem einzigen großen Platz, den wir überhaupt besitzen, ganz gewiss nicht. Aber jetzt wird es Zeit!«, rief sie dann Moise entgegen, als er sie beinahe umwarf mit seinem wilden Lauf.
    Moise ignorierte Leas Schlusswort, begann von neuem seinen Wettlauf zu den großen Fenstern am Kanal und zurück zu den großen Fenstern auf der Landseite. Als Lea schließlich die Treppe hinunterstieg und bereits zur Haustüre ging, rannte Moise ihr zornig nach.
    »Du lässt mich zurück«, sagte er wütend, »du hast mich allein zurückgelassen.«
    »Ich lasse dich nicht zurück«, widersprach Lea, »ich will nur nicht wieder rennen müssen, um das Tor zum Ghetto rechtzeitig zu erreichen. Ich will keine Strafe zahlen müssen.«
    »Sie werden uns schon hereinlassen«, sagte Moise zuversichtlich und hüpfte im Zickzack vor ihr die enge calle entlang. »Wir haben ja keine Uhr an der Kette wie die Adligen und können die Zeit ablesen.«
    »Aber wir haben Ohren, um zu hören«, widersprach Lea, »die Marangonaglocke ist laut genug, dass man sie hört.« Sie blieb für einen Augenblick stehen, um Atem zu holen. »Lauf schon vor«, sagte sie dann mühsam, »sag ihnen, dass ich auch gleich komme.«
    »Das habe ich schon beim letzten Mal gesagt, dann haben sie gesagt, dass wir dann eben früher aufbrechen müssten. Und heute ist sowieso der Pockennarbige am Tor, zumindest an unserem Tor, der nur darauf wartet, dass wir zu spät kommen und bezahlen müssen.«
    Als sie die Rialtobrücke erreichten, stolperte Lea, ihr Korb kam ins Wanken, zwei der Äpfel rollten unter den Bretterstapel eines Gemüsestandes.
    »Lass sie liegen«, sagte Lea und hastete weiter. »Ein Kind wird sich darüber freuen.«
    »Ich bin das Kind«, sagte Moise, kroch unter die Bretter und kam mit einem Loch in der Hose wieder zurück, was er zu verbergen suchte. »Ich will überhaupt nicht, dass du immer rennen musst«, sagte er dann aufsässig und stampfte mit dem Fuß, »ich will kommen, wann ich will, und gehen, wann ich will.«
    »Das kannst du, wenn du fünfundzwanzig Dukaten Strafe zahlen willst«, sagte Lea keuchend im Weitergehen.
    »Ich will keine Strafe bezahlen, ich will keine Tore, die geschlossen werden, ich will keine cattaveri, die uns bewachen, und ich will kein Buch, in das die Christen einschreiben, wann wir kommen und gehen. Und ich will böse sein dürfen. So böse, wie Christen auch sein dürfen.«
    Lea war nahe daran zu explodieren, wenn sie das Gefühl hatte, dass Moise beabsichtigte, wieder eine seiner Debatten zu beginnen.
    »Lauf jetzt«, drängte sie daher noch einmal, »sag ihnen, dass sie einen großen Fisch bekommen, wenn sie uns ohne Strafe hineinlassen.«
    »Dann brauchst du aber zwei Fische, und diese Fische sind unser Nachtmahl.«
    »Ich mach dir auch Pomeranzengemüse«, schmeichelte Lea, »und du darfst die Schnipsel machen.«
    Moise lachte auf. »Und dann zwölfmal waschen? Da können wir heute Abend verhungern.«
    »Wie kommst du überhaupt auf die Idee, dass die Christen böse sein dürfen?«
    »Sie waren böse«,

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