Stadt der Blumen strava3
Spitzel, sondern auch ein Mörder. Na ja, das hätte er sich eigentlich denken können. Giglia war eine gewalttätige Stadt, in der solche Dinge an der Tagesordnung waren. War er selbst nicht immer fasziniert gewesen von der Geschichte vom Mord auf dem kleinen Platz? Doch jetzt, nachdem er selbst gesehen hatte, wie das Blut über das Kopfsteinpflaster floss, hatte Sandro schlagartig genug.
Der kleine Hund döste auf einem Läufer.
»Für dich ist das wohl alles das Gleiche, was?«, sagte Sandro. »Blut oder Soße.
Aber das war ein richtiger Junge, wie Tino. Mit einem Vater und einer Mutter, die ihn liebten. Nicht wie wir. Uns würde wahrscheinlich niemand vermissen.«
Zu seiner eigenen Überraschung liefen ihm Tränen über die Wangen. Ungehalten wischte er sie mit dem Ärmel fort. Aber er war froh, dass er in dieser Nacht nicht allein war. Selbst so ein struppiger, kleiner Hund war besser als nichts.
Traurig streckte Sandro sich neben dem schlafenden Hund auf der Matte aus.
»Sieht so aus, als ob wir aneinander hängen bleiben«, sagte er mit einem Gähnen. »Ich würde dich ja nach dem jungen Nucci benennen, aber ich weiß gar nicht, wie er heißt. Aber er war ja der Bruder von jemand. Deshalb nenne ich dich Fratello.«
Als Sky in dieser Nacht nach Talia zurückkehrte, fand er Sulien, tief in Gedanken versunken, in seiner kleinen Zelle vor. »Es hat begonnen«, sagte der Mönch.
»Die Nucci haben versucht, den Herzog zu töten, und nun ist es jemandem gelungen, den Jüngsten der Nucci zu erdolchen. Von nun an befindet sich Giglia im Bürgerkriegszustand.«
Kapitel 9
Engel
In den folgenden paar Wochen wuchs die Spannung in Giglia. Es gab keine weiteren Toten, aber dafür zahlreiche Duelle zwischen den Parteien der Nucci und der Chimici. Die beschränkten sich nicht nur auf Familienmitglieder; fast jeder in der Stadt stellte sich auf die eine oder die andere Seite. Seit Generationen verdankten hunderte von Leuten ihren Lebensunterhalt der einen oder der anderen Familie. Jetzt stromerten jeden Abend Banden von jungen Männern auf Streitsuche in der Stadt umher, und wenn die Rivalen aufeinander trafen, gab es sofort Schmährufe und Beleidigungen.
Der Palast der Nucci hatte einen alten Festungsturm, wie viele der Palazzi. Sie stammten aus einer früheren Zeit, als das Leben in Giglia sogar noch gewalttätiger und unberechenbarer gewesen war. Seit Davide begraben war, hatten Matteo Nucci und seine beiden verbliebenen Söhne sich mit Waffen eingedeckt, um ihre Familie zu verteidigen, falls diese Tage wiederkehren würden. Aus ganz Talia waren jetzt die Familienmitglieder zusammengeströmt und hatten sich um die Nucci versammelt. Der Palast war voll von kräftigen, jungen Männern und Gerüchte kursierten, dass die Nucci sich für den Verlust Davides rächen wollten, sobald die Trauerzeit um sei.
Sandro bekam immer mehr Spitzel-Aufträge, wenn er auch nicht froh darüber war. Er hielt sich so gut wie möglich von dem Aal fern, überbrachte nur kurz seine Berichte und verschwand dann wieder. Er hatte kein Bedürfnis mehr, in Enricos Nähe zu sein, und wünschte sich auch nicht mehr einen Vater wie ihn zu haben. Die meisten Tage verbrachte er in Santa-Maria-im-Weingarten, von wo er die Nucci bequem ausspionieren konnte. Außerdem bedeutete es, dass er mehr Zeit mit Bruder Tino verbringen konnte.
Sky war erleichtert, als die Osterferien anfingen und sich der Zustand seiner Mutter immer noch verbesserte. Das bedeutete, dass er morgens länger ausschlafen konnte – was wiederum seine nächtlichen Reisen nach Talia ausglich. Sein Umgang mit Gleichaltrigen wurde auch normaler. Vor dem Ende des Schulbetriebs war er zweimal mit Alice ausgegangen, einmal ins Kino und einmal einfach in ein Café. Da hatten sie sich lange unterhalten und sie wurden etwas lockerer im Umgang miteinander. Jetzt freute er sich darauf, ab und zu allein mit ihr zusammen zu sein.
Aber ein neues Problem war aufgetreten: Georgia, Alice und Nicholas unternahmen oft was miteinander und es störte sie nicht, wenn sich Sky ihnen anschloss; aber wenn er dabei war, fühlte er sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, mit Alice zusammen zu sein und den anderen die neuesten Begebenheiten aus Giglia zu erzählen. Gut, dass es dafür noch den Fechtunterricht gab! Alice fand ihn langweilig und war nie mitgekommen, um Nicholas zuzusehen. Da sie in den Ferien nicht in die Turnhalle konnten, hatten Sky und Nicholas regelmäßige Stunden in dem
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