Stadt der Blumen strava3
die Feierlichkeiten waren mehr als hochtrabend. Drei Tage mit Festmahlzeiten, Turnieren, Umzügen und Prozessionen wurden vorbereitet – und Beatrice als einzige Chimici-Frau in Giglia musste alles beaufsichtigen.
Sie hatte sehr wenige Augenblicke für sich selbst. Obwohl sie über die Hilfe froh war, die ihr von Enrico, dem Spion ihres Vaters, angeboten wurde, war ihr seine Art unheimlich. Immer und überall war er anwesend und lauerte ihr ständig im Rücken.
An diesem Tag, eine Woche, nachdem sie in ihr neues Heim gezogen war, stand Beatrice am Fenster ihres Salons und freute sich über ein paar Minuten der Einsamkeit. Es wurde allmählich warm draußen; bald war April und die Hochzeiten sollten in etwas mehr als drei Wochen stattfinden. Das Wasser im Argento stand sehr hoch und sie musste daran denken, wie nass der Winter gewesen war. Wenigstens schienen die Regenfälle jetzt vorüber zu sein; es wäre doch zu schade, wenn die feinen Gewänder der Bräute durchnässt würden.
Beatrice blickte hinüber zu dem neuen Palast und den dahinter liegenden prächtigen Gärten der Nucci. Sie seufzte. Für sie war es ganz und gar unverständlich, warum die Dinge zwischen den beiden Familien so schlimm geworden waren. Sie konnte sich an eine Zeit erinnern, als man sich noch zivilisierte Höflichkeitsbesuche abgestattet hatte. Obwohl sie Konkurrenten waren, waren sie schließlich die beiden reichsten Familien der Stadt gewesen, und das bedeutete zumindest gelegentlichen gesellschaftlichen Kontakt. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als ihr ein Tag aus ihrer Kindheit ins Gedächtnis kam. Die drei Nucci-Jungen und ihre zwei Schwestern hatten die Chimici in der Via Larga besucht. Die Erwachsenen hatten endlos geredet und Wein getrunken und man hatte die Kinder wie Hundewelpen nach draußen in den Hof geschickt. Camillo Nucci und ihr Bruder Luca hatten den Plan ausgeheckt, dem bronzenen Merkur in der Mitte des Blumenrondells Kleider anzuziehen.
Sie selbst hatte die Tücher und Halsketten und einen Unterrock aus dem Zimmer ihrer Mutter geholt, doch Camillo, Luca und Carlo hatten die Staute verkleidet, während die kleine Prinzessin mit Filippo Nucci und den anderen jüngeren Kindern zugesehen hatte. Das war noch vor Falcos Geburt gewesen und Davide war nicht mehr als ein kleiner Knirps in den Armen seiner großen Schwester gewesen. Lächelnd dachte Beatrice daran, wie albern der Merkur in seinen feinen Gewändern ausgesehen hatte und wie der Herzog und Matteo Nucci mit ihnen geschimpft hatten.
Und nun waren sowohl Davide als auch Falco tot und die Familien waren erbitterte Feinde. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Beatrice ihnen in der Stadt begegnete, hatten sie strikt geradeaus gesehen, auch wenn Graziella Nucci bei
ihnen gesessen und um Falco getrauert hatte und Beatrice bei dem Verlust der Nucci ein Beileidsschreiben gesandt hatte.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Träumereien.
»Der Konditor ist hier, Euer Gnaden«, sagte Enrico. »Er will mit Euch über das Marzipan reden.«
»Ich komme sofort«, sagte Beatrice.
Man würde ganz schön viel Zucker benötigen, um das Aufeinandertreffen der beiden Familien zu versüßen.
Sulien und Giuditta standen auf der Schwelle. Bruder Sulien sah genau wie ein Mönch eines modernen Klosters aus; die Kutten hatten sich in vier Jahrhunderten nicht wesentlich verändert. Aber Giuditta sah überhaupt nicht so aus, als würde sie ins einundzwanzigste Jahrhundert gehören. Sie trug einen langen grünen Samtumhang mit zurückgeklappter Kapuze, den sie über ihre übliche Arbeitskleidung geworfen hatte, und Sky war sicher, dass er in ihrem Haar Marmorstaub entdeckte. Doch sie war so ruhig und gelassen wie in Giglia und wirkte fast so unbewegt wie eine ihrer Stauten. »Können wir eintreten?«, fragte Sulien und Sky sah natürlich keine Möglichkeit, abzulehnen.
Sie gingen durch den kurzen Flur in die Küche und schon stellte Sky die vier Stravaganti einander vor. Giuditta erkannte den jungen Chimici-Prinzen wieder, sosehr er sich auch verändert hatte, während Nicholas sie zuvor noch nicht kennen gelernt hatte. Die Giglianer sahen sich interessiert in der Küche um, als die frisch geduschte Rosalind hereinkam.
»Du liebe Güte!«, sagte sie erschrocken. »Heute haben wir aber eine Menge frühen Besuch. Sind das Freunde von dir, Sky?«
Sky hatte keine Ausrede bereit; er hatte damit gerechnet, dass seine Mutter aus dem Haus sein würde, bevor die Stravaganti kamen.
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