Stadt der Blumen strava3
selbst hinaufstiegen, hunderte von Stufen – so viele, dass er nicht mehr mitzählen konnte –, bis sie in dem weißen Lichtschacht, der die Kuppel abschloss, ankamen.
Die beiden Jungen setzten sich, hielten sich dabei an dem Holzgeländer fest und ließen die Beine baumeln. Sky wünschte, er hätte sich etwas Wasser mitgebracht; seine Kutte klebte nach dem Aufstieg an seinem Körper. Immerhin gab es hier oben einen willkommenen Luftzug und der Blick nach außen war jede Anstrengung wert.
Die ganze Stadt breitete sich vor Skys Augen aus. Er konnte die Piazza Ducale und den Fluss und den neuen Palast der Nucci am jenseitigen Ufer und die grüne Fläche ihrer Gärten sehen.
Sogar die Allee mit den Pinien, wo er vor etwas mehr als einer Woche mit Sandro gewesen war, entdeckte er. Dahinter lagen die Stadtmauer und die Blumenwiesen, die die Stadt umgaben, dazwischen grüne Weiden, die mit weißen Punkten –
mit Schafen – übersät waren.
Wenn alles klappte, würde Georgia morgen dort irgendwo mit Merla ankommen.
Ob er wohl die Gelegenheit bekam, das fliegende Pferd einmal selbst zu sehen?
Rainbow Warrior hatte zwei Besitztümer in England: ein Landhaus in Gloucestershire, in dem er sich fast nie aufhielt, das er jedoch behalten wollte, weil er fand, dass es einfach zu seinem Image gehörte; und eine Wohnung im Londoner
Stadtteil Highgate. Immer wenn er in Großbritannien auf Tournee war, hielt er sich auch eine Weile dort im Norden Londons auf und hier wollte er auch diesmal, kurz nach seinem Geburtstag, ein paar Tage bleiben. Aus einer spontanen Laune heraus bat er Loretta ihn zu begleiten. Ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken, ihr von Sky zu erzählen, aber noch weniger behagte ihm die Aussicht, sich allein mit seinem Sohn zu treffen.
Es würde ungewöhnlich für ihn sein, ohne Tournee in sein Geburtsland zu reisen.
Er könnte natürlich seine Mutter besuchen, dachte er. Es hatte viel Überredungskunst gekostet, sie zum Verlassen der Wohnsiedlung zu bewegen, in der er geboren war, und sie hatte nur wenige Jahre in dem Haus in Esher, das er für sie gekauft hatte, zugebracht, dann hatte sie in eine Seniorenanlage übersiedeln müssen. Inzwischen war sie etwas verwirrt und schockierte ihre Mitbewohner bisweilen mit den Ausdrücken, die sie verwendete.
Aber da gab es ja auch noch seine Geschwister. Dass sie von seinem Aufenthalt in London erfahren würden, behagte ihm gar nicht. Warrior hatte ihnen im Lauf der Jahre eine Menge Geld zukommen lassen, aber keiner von ihnen hatte etwas aus seinem Leben gemacht. Ein Bruder hatte eine halbherzige Laufbahn als Plattenproduzent eingeschlagen; der andere war arbeitslos und forderte ständig Unterstützung. Seine Schwester war eine verbitterte Frau, die eifersüchtig auf ihn war: Sein Erfolg ließ sie mit ihrem Beruf als Krankenschwester, mit ihrem Mann und dem Haus in Clapham, das er ihr gekauft hatte, unzufrieden werden. Über Warriors Zeitungsartikel, über seine zahlreichen Ehen und seine regelmäßigen Plattenveröffentlichungen äußerte sie sich nur abfällig. Trotzdem kaufte sie alle Pop-Zeitschriften, in denen er erwähnt wurde, ließ sich Flüge zu den Hochzeiten bezahlen und gab vor ihren Freunden an, wenn sich wieder mal eines seiner Alben gut verkaufte.
Manchmal gestand Warrior sich ein, dass die einzige Person in seinem Leben, die ihn nie um Geld gebeten hatte, Rosalind war. Sie hatte sogar ihren Sohn ganz alleine aufgezogen. Immerhin hatte er ihr anfangs Geld geschickt, eine Menge sogar. Aber weder sie noch ihr Sohn hatten jemals etwas von ihm erwartet, und das machte ihn neugierig.
»Kann ich Sie mal was fragen?«, sagte Sky, als er mit Bruder Sulien allein war.
»Aber gern.«
»Als ich angekommen bin, haben Sie gesagt, dass Herzog Niccolò di Chimici ge
fährlich ist und alle Stravaganti hasst.«
»So ist es.«
»Aber zurzeit hat er wohl eher die Nucci im Visier. Bedeutet das, dass wir und die Nucci auf derselben Seite stehen?«
»Wenn die Nucci über uns Bescheid wüssten, dann würden sie unsere Hilfe bei ihrem Rachefeldzug gegen die Chimici bestimmt gerne in Anspruch nehmen«, erwiderte Sulien. »Aber auf solche Fehden dürfen sich die Stravaganti nicht ein
lassen. Wir sind nur Gegner von Niccolò, weil wir glauben, dass er ganz Talia be
herrschen will. Den Nucci ist es seit langem egal, wer in Giglia regiert, ganz zu schweigen von Tuschia oder ganz Talia. Sie wünschen nur den Tod aller Chimici.«
»Ich kann schon einsehen, dass
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