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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Wissenschaftler aus der Vor-Zeit, als es noch Wissenschaften gab. Er hatte großen Erfolg.
    Wir trafen uns an der Bar bei einem Getränk, das sich Lunacocktail nannte und von leuchtend gelber Farbe war. Peter Gutman ließ sich meine Schlangen erklären.
    Aha, sagte er, Madame ziehen sich zurück ins Matriarchat.
    Ob das ein Rückzug wäre, sagte ich, das wäre noch die Frage. Immerhin müßte ich im Matriarchat die Verantwortung für den ganzen Stamm mit übernehmen. Anstrengend, stell ichmir vor. Ich sah nicht rechts, nicht links und saugte an meinem Strohhalm.
    Da sagte Peter Gutman: Uralte Regel: Wenn man sich festgefahren hat, muß man einen Schritt zurücktreten und mit Verhandlungen beginnen.
    Worüber verhandeln, wollte ich wissen. Über Kapitalanlagen?
    Sie überschätzen mich, Madame. Ich bin gerade nicht flüssig. Auch bezweifle ich, daß in der Zeit, der wir alle hier offenbar angehören, ein Wort wie Kapital überhaupt noch vorkommt. Der letzte Dollar ist doch längst von der Zeitmaschine zerschreddert.
    Are you sure, Sir? Das war Emily, die in phantastischer Umhüllung als Pythia gekommen war und nach allen Seiten wahrsagte.
    Sicher bin ich sure, sagte Peter Gutman. Denn wenn das nicht passiert wäre, wenn der Dollar immer weiter die Welt überflutet hätte, dann hätten wir ja die Zukunft gar nicht erlebt, in der wir hier gemütlich herumsitzen.
    Hätte und wäre, sagte ich mißfällig. Lutz, der Hamburger, ein Sternenritter, der erklärte, er vertrete das interkontinentale Gute, bemerkte: Aber er hat doch recht. Klar hatte er recht, aber zugleich war er ein hoffnungsloser Phantast.
    Ob ich schon mal das Wörtchen Utopie gehört hätte.
    O Mann, das hatte mir noch gefehlt. Da kam auch noch Francesco in seinem üppigen venezianischen Gewand mit der Teufelsmaske – der Teufel würde niemals aussterben, hatte er behauptet – und schlug auffallend milde vor, sie sollten die Last der Utopie doch mal von meinen östlichen Schultern nehmen und sie sich auf ihre westlichen Schultern laden.
    Allgemeine Zustimmung. Was hieß denn das. Das hieß, daß sie anfingen zu spinnen. Natürlich hatten wir alle etwas getrunken, die Zusammensetzung der farbenfrohen Cocktails blieb ein Geheimnis, sie zeitigten unvorhersehbare Wirkungen, zum Beispiel begann Ria, der kleine schillernde Planet –allmählich hatte unsere ganze Gruppe sich an der Bar versammelt – ausführlich von einer Welt zu schwärmen, in der ein jeder Mensch, besonders ein jedes Mädchen, mit vierzehn ein Grundgehalt bekäme und sich von den Eltern ablösen könnte. Das würde die Selbstmordrate unter jungen Leuten erheblich senken.
    Alle errieten, was Ria zu dieser Vision trieb, die uns aber doch zu banal erschien. Besonders Pintus mußte ihr widersprechen, mir fiel auf, daß er ihr in letzter Zeit andauernd widersprach. Man müsse schon etwas anspruchsvoller sein. Als er noch bei den Maoisten gewesen sei, hätten sie geglaubt, man könne die Menschen zu ihrem Glück zwingen. Und ihr Glück, hätten sie gedacht, sei es doch zweifellos, ihr Leben ganz und gar in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Die man natürlich von Grund auf verändern müsse, hätten sie gedacht. Wenn nicht anders, dann mit Gewalt.
    Na und jetzt? wollte Lutz wissen.
    Und jetzt, da wir doch von Utopie sprächen, setze er seine Hoffnung darauf, daß die Leute über einen langen, sehr langen Zeitraum andere Bedürfnisse entwickeln würden. Nicht nur nach Geld und Macht und Konsum streben würden.
    Aber wie denn. Und wodurch.
    Hoffentlich nicht durch Katastrophen, sagte Lutz. Hoffentlich werden wir nicht erst durch Katastrophen klug. Zum Beispiel haben wir alle in der Zukunft kein eigenes Auto.
    Sehr schade, sagte Francesco.
    Dann haben wir die alternativen Energien entwickelt und die Klimakatastrophe aufgehalten, sagte Maja, Lutzens Frau, im wallenden Kleid einer archaischen Göttin, und Ines, keck als Mätresse gekleidet, die es in jeder Zukunft geben werde, fügte hinzu: Dann fühlen sich nicht nur die Eltern, sondern alle für die Kinder verantwortlich. – Bloß nicht! kam es von Francesco, aber Ines gab ihm Bescheid, daß dann die Menschen nicht mehr kleingeistig und selbstsüchtig wären, sondern großherzig und, nunja, eben klüger.
    Ihr meint, sagte Hanno, unser vornehmer Franzose, der in einer Art Frack gekommen war und einen Direktor der Sternen-Verkehrsbetriebe vorstellte, ihr meint: Dann wissen die Menschen mehr über sich? Und wollen das auch?
    Schweigen.
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