Stadt der Engel
und blickte mich an. Ich begriff, daß er ein Gesandter war, und verstand seine Botschaft, die in Worten nicht auszudrücken war.
Ich schrieb pflichtgemäß alles auf, was mir einfallen wollte.
Nachmittags ging ich zu Woolworth, mir eine Lampe für meinen Arbeitstisch kaufen. Ich hatte den länglichen Karton schon unter dem Arm und stellte mich an die Schlange vor der Kasse, da sprach mich ein jüngerer schwarzer Mann an, ziemlich unhöflich, er wirkte ungepflegt, unter einer knappen Kappe sah krauses schwarzes Haar hervor, er hatte schlechte Zähne und ein pockennarbiges Gesicht. Er drückte mir ein Päckchen mit Süßigkeiten in die Hand und einen Dollar, ich sollte das für ihn bezahlen, er müsse nur schnell mal weg. Ich verstand seinen Jargon kaum, er schien mir das übelzunehmen. Ich sagte, ich bräuchte den Dollar nicht, könne erst mal von meinem Geldbezahlen. Nein. Das wollte er nicht. Ich sah ihn dann mit großen Schritten hinausgehen. Vielleicht muß er eilig eine Toilette aufsuchen, dachte ich. Es dauerte lange, ehe die einzige Verkäuferin, ungeschult wie alle Verkäuferinnen hier, die Kundinnen vor mir abkassiert und ihre Waren verpackt hatte. Ich bezahlte das Päckchen Süßigkeiten extra und ließ mir das Wechselgeld auf den Dollar herausgeben. Dann stand ich, meinen Karton unterm Arm, in der Hand das Päckchen und das Wechselgeld, und wartete. Er kam nicht. Hatte er sich über mich lustig gemacht? Wollte er für irgend etwas an einer weißen Frau Rache nehmen? Sollte ich einfach weggehen? Dann plötzlich, als ich mich umdrehte, stand er hinter mir. Here you are! rief ich erleichtert und streckte ihm sein Päckchen und das Geld entgegen. Er war wie verwandelt. Strahlend nahm er beides an sich, drückte mir lange und herzlich die Hand, bedankte sich immer wieder. Wir schieden in bestem Einvernehmen. Anscheinend war das ein Test gewesen, und anscheinend hatte ich ihn bestanden.
Im Postfach des CENTER lag neben vielen neuen Zeitungsausschnitten ein Brief von Ruth. Sie lud mich zu einer Diskussion ein in eine jüdische Gruppe, die sich in größeren Abständen regelmäßig treffe und deren Leiter, falls man ihn so nennen wolle, ein Freund von ihr sei. Kätchen, die in letzter Zeit mit besonderer Sorgfalt meinen Postein- und -ausgang beobachtete, legte neue Faxblätter, mit der Schrift nach unten, vor mich hin. Are you okay? Ich sagte: No. Und sie: I thought so. What is the matter? Ich lud sie ein, mit mir zum Lunch zu gehen. Ich versuchte, über die sprachliche Hürde hinweg, ihr zu erzählen, was los war. Sie versuchte zu verstehen. Sie hatte amerikanische Zeitungen gelesen. Sie sagte, was alle zuerst sagten: Aber das ist doch so lange her! Sie mochte mich. Sie wollte mich trösten. Ich wußte, daß allein das Wort Kommunismus Entsetzen in ihr auslösen würde, wie bei fast allen Amerikanern. Plötzlich krampfte sich der Muskel an meinem Mageneingang schmerzhaft zusammen. Ich konnte nicht mehr schlucken. Ichmußte meine Spaghetti kalt werden lassen und versuchen, vor Kätchen zu verbergen, daß ich nicht weiteraß. Auch trinken konnte ich nicht. Nach zehn Minuten löste sich der Krampf, aber er kam von da an immer wieder, ohne daß ich dagegen angehen konnte.
Gegen Abend begann im CENTER die »Zukunftsparty«, zu der alle Mitarbeiter eingeladen waren, gehalten, sich als Zukunftsmenschen zu verkleiden. Ich hatte nur mein Schlangenarmband umgetan und mir die bunte Holzschlange, die ich bei einem Ausflug nach San Diego gekauft hatte, über die Schulter gelegt. Nun glaubten die Partyteilnehmer, ich wolle die Schlangenfrau darstellen, und manche der Feministinnen wußten, daß die Schlange ein uraltes weibliches Symbol ist. Die meisten hatten sich mit ihrer Verkleidung als Zukunftsmenschen große Mühe gegeben, erschienen in metallisch glänzenden Kostümen, andere waren behängt mit elektronischen Geräten, wieder andere hatten sich Kopfbedeckungen mit Antennen aufgesetzt, und einige traten als Rakete auf. Sie tanzten nach elektronischer Zukunftsmusik, und wir aßen abenteuerliche Gerichte und tranken Phantasiegetränke. Unsere Gruppe war glänzend vertreten durch Pintus und Ria, ein konstellares Paar, zwei kleine Planeten, die einander umkreisten.
Spät erschien zu meiner Überraschung noch Peter Gutman, natürlich ohne auch nur einen Ansatz von Kostümierung. Aber wieso denn. Er sei der am raffiniertesten Kostümierte: Er komme als Mensch. Als Mensch aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Ein
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