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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Kinder großgezogen, Szenarien geschrieben hatte, die zumeist nicht verfilmt wurden, mit Greta Garbo Filmpläne erörtert und für sie Drehbücher verfaßt hatte. Das Haus, das in den dreißiger Jahren zum Treffpunkt der deutschen Emigranten wurde und von dem aus sie umfangreiche Hilfsaktionen für bedürftige Kollegen in Kalifornien und für Gefährdete in den von denNazis besetzten Gebieten organisierte. Ihr Buch »Das unbelehrbare Herz« lag neben mir auf dem Sitz, seit ich es gelesen hatte, war ich öfter schon an ihrem Haus vorbeigefahren, ein kurzer Weg von der Second Street, die Ocean Avenue entlang, die eine Rechtskurve macht und in die die Mabery Road mündet. Eine Fahrt von weniger als zehn Minuten, während deren ich meinen Mitfahrern von Salka Viertel erzählte, anscheinend in einem Ton, daß Peter Gutman mich fragte: Die hättest du gerne kennengelernt, wie?
    O ja, das hätte ich. Mir fiel auf, daß ich diesen Wunsch selten hatte, so sehr ich manche der Emigranten bewunderte, deren Häuser wir noch sehen würden. Sie ist fast vergessen, sagte ich, in manchen Berichten über die Emigration im »New Weimar unter Palmen« wird sie kaum erwähnt.
    Hätte ich Lion Feuchtwanger kennenlernen wollen? Wir fuhren den Sunset Boulevard hinauf zum San Remo Drive, hoch über der Stadt, gerade hatte ich »Jud Süß« noch einmal gelesen, um mich zu vergewissern, daß das Buch – natürlich – keinen Hauch von Antisemitismus enthielt. Anders als der Veit-Harlan-Film, mit dem mich eine merkwürdige und nicht zu beweisende Kindheitserinnerung verbindet. Selbstverständlich hätte deine Mutter dir niemals erlaubt, diesen Film zu sehen, und selbstverständlich wolltest du es unbedingt – wie den »Großen König« mit Otto Gebühr oder, ganz am Schluß, »Die goldene Stadt« mit Kristina Söderbaum. Alles, woran dir wirklich lag, wurde dir verwehrt.
    Es folgte bei mir eine Erinnerung, die sich unmöglich auf ein wirkliches Erlebnis beziehen konnte, die aber so hartnäckig war, daß ich ihr glauben möchte. In unserer Stadt gab es drei Kinos, eines davon, das modernste, die »Kyffhäuser Lichtspiele«, hatte einen Nebenausgang, in dem du eines schönen Tages standest – in dem ich mich in meiner unglaubhaften Erinnerung stehen sehe – und durch den Schlitz des geschlossenen Vorhangs in den Kinoraum linstest, direkt auf die Leinwand. Dort erschienen einige sehr farbintensive, grelle Bilder, ein inAngst verzerrtes Gesicht, ein Galgen, das wolltest du um jeden Preis weitersehen, das konntest du um keinen Preis länger ertragen. Da wurdest du von hinten an den Schultern gefaßt und unter Beschimpfungen weggezogen. »Jud Süß«. Verlangen und Grauen, das ist geblieben.
    Natürlich habe ich Marta Feuchtwanger davon nicht erzählt, sagte ich, als wir sie vor ein paar Jahren besuchten, in der Villa Aurora, die noch heil war. Mit den wunderbaren spanischen Fliesen in der Eingangshalle, mit der kostbaren Feuchtwangerschen Bibliothek, aus der Marta einige Bände herauszog, Inkunabeln, mit dem Arbeitszimmer, wo Feuchtwangers Sekretärin Hilde Waldo, alt und hinfällig schon, uns von seiner Arbeitsweise, den verschiedenen Manuskriptfassungen auf verschiedenfarbigem Papier und von seiner sagenhaften Konzentration erzählte, und mit der uralten Schildkröte, die auf der Terrasse herumkroch, von der aus man einen einzigartigen Blick auf den Pazifischen Ozean hatte. Alles vorbei, Marta Feuchtwanger war gestorben, die Bibliothek der Universität übergeben, die Villa Aurora eine Baustelle. Später, heute, würde sie deutschsprachige Schriftsteller als Stipendiaten beherbergen und der einzige Ort sein, der an die deutsche Emigration in dieser Stadt erinnert.
    Wie immer, wenn ich mich auf den Spuren der Emigranten bewegte, kam ich gegen ein erdrückendes Gefühl von Vergeblichkeit nicht an. Könnt ihr euch vorstellen, sagte ich, daß ich die allermeisten Namen derer, die hier lebten, weil Deutschland sie ausgespien hatte, bei Kriegsende überhaupt nicht kannte? Keinen Brecht natürlich, zu dessen Haus in der 26th Street wir noch kommen würden, keinen Alfred Döblin, der, wie übrigens auch Heinrich Mann, bescheiden in einem Apartmenthaus gewohnt hatte, an dem wir vorbeifuhren, während die Villa von Thomas Mann, 1550 San Remo Drive, die wir, dem Sunset Boulevard weiter folgend, in den Amalfi Drive einbiegend, als nächste besuchten, stattlich und repräsentativ wirkte, allerdings, von hohen Gewächsen umgeben, unseren Blickenweitgehend

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