Stadt der Engel
Lebens?
LOS ALAMOS lag nicht an unsrem Weg, mußte aber mitgenommen werden, darüber gab es keinen Zweifel. Gen Norden also, von Santa Fe aus, auf einer Straße, die von Pueblos gesäumt war. Die Atombombe war mitten in einem der großen Indianerreservate der Vereinigten Staaten geplant und gebaut worden. Das bescheidene kärgliche Museum, das erste, das den Pionieren von Los Alamos gewidmet war, behauptete, die Indianer hätten gerne einen Teil ihres Gebiets den Bombenbauern zur Verfügung gestellt, weil sie loyale Bürger der Vereinigten Staaten gewesen seien, die das Ihre zum glücklichen Ausgang des Krieges hätten beitragen wollen, stolz auf ihre Söhne, die zusammen mit den weißen Amerikanern in der Armee dienten und an der Front kämpften.
Wer das Museum besichtigen wollte, mußte ein Einlaßticket kaufen, bei einem älteren Mann, womöglich einem Kriegsveteran, der seiner Aufgabe kaum gewachsen war und dessen Unbeholfenheit den Eindruck des Provisorischen verstärkte. Die Hightech, sahen wir auf Abbildungen, die in den Labors dieser Wissenschaftsoase entwickelt wurde, war buchstäblich aus dem Wüstensand gestampft worden, und die Spitzenkräfte, die dieses Wunder vollbrachten, hatten sehr bescheiden, fast primitiv gelebt und sich den rigidesten Sicherheitsvorschriften eineswohl an Paranoia leidenden Leiters unterworfen. Sie mußten ihre totale Abschottung von der Außenwelt dulden. Der Brief eines jungen Mitarbeiters an seine Mutter nach dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima strotzt von Erleichterung, daß er ihr nun, da ihr Projekt in der Öffentlichkeit erfolgreich erprobt worden war, endlich eröffnen darf, woran er so lange gearbeitet hat. Und weder er noch irgendeiner der Mitarbeiter, die nach Hiroshima zu Wort kommen, bezweifelt den guten Zweck und die Notwendigkeit, die Bombe einzusetzen. Das ganze Museum erzählt eine Heldengeschichte. Es ist, sagten wir uns bedrückt, als habe man damals, im Jahr 1945, mit einem Zauberstab eine Vereisung der normalen menschlichen Gefühle bewirkt.
THE BOMB: Das neue Museum, gerade eröffnet, Stahl und Glas, groß, technisch auf dem neuestem Stand, war eine einzige Demonstration des Stolzes. Anders als das kleine dürftige Uralt-Museum nebenan stellte es die einzelnen Entwicklungsstadien bis zu dem angestrebten Ergebnis dar: THE BOMB, die in voller Größe inmitten des zentralen Raums präsentiert wurde. Wie könnte ich das Gefühl benennen, das mich überfiel, während ich die Bombe umkreiste, vor ihr stehenblieb, zu ihr hinaufschaute? Ein Gemisch von Schauder und Trauer. Während die Amerikaner, die in kleinen und größeren Gruppen nach Los Alamos kamen, Bewunderung und Stolz zeigten.
Nicht zum ersten Mal mußte ich an Einstein denken, dessen Unterschrift in einem Brief an den Präsidenten der Vereinigten Staaten die Produktion der Bombe mit in Gang gesetzt hatte. An seine Nächte nach ihrem Einsatz in Hiroshima und Nagasaki. Wir hatten uns daran gewöhnt, dachte ich, gutartige Männer wie ihn, die das Unglück hatten, auf einem gefährlichen wissenschaftlichen Gebiet ein Genie zu sein, in unlösbare Konflikte und in eine unvermeidbare Schuld verstrickt zu sehen.
Schweigend gingen wir zu unserem Auto. Als eine Art Pflichtübung umrundeten wir das riesige, durch einen soliden Drahtzaun abgesicherte Sperrgebiet, vor dessen Betreten scharfgewarnt wurde. Eine Menge häßlicher neuer Gebäude – Labors und Versuchsanstalten – hatte sich ausgebreitet. Wir zweifelten nicht daran, daß hier hochspezialisierte Wissenschaftler unter weit perfekteren Bedingungen und für viel mehr Geld als die ersten Pioniere von Los Alamos streng geheim sehr viel wirkungsvollere Vernichtungsmittel entwickelten, als die brave altväterische Bombe es war. Daß sie die Naturschönheit des Geländes schon zerstört hatten, war ein unvermeidlicher Nebeneffekt. Wir wollten diesen Ort so schnell wie möglich verlassen.
Wir saßen dann in einem ziemlich düsteren Restaurant im Western-Stil und kauten an tellergroßen Beefsteaks, das einzige Gericht, das hier angeboten wurde. Sanna fragte mehr sich selbst als uns, warum unsere Zivilisation den Weg der Selbstzerstörung eingeschlagen hatte, den Lowis für unumkehrbar hielt. Sei dieser Hang in unseren Genen angelegt? Neuere Forschungen widersprachen dieser These: Sehr kleine Kinder, die noch nicht sprechen konnten, halfen Erwachsenen, ohne daß es ihnen anerzogen war, wenn diese ein Mißgeschick hatten und Hilfe brauchten. Oder sei der
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