Stadt der Engel
glatt aufgeben. Mitleidiges Gelächter. Toby bot ihr an, die Innengestaltung ihrer Restauranträume zu übernehmen. So sei sein Aufbruch nach Mexiko noch nicht unwiderruflich? Therese lebte auf, schöpfte Hoffnung. Na wenn schon eine Expedition, sagte Jane, da sei doch vielleicht noch eine Fotoreporterin erwünscht, die das ganze Unternehmen dokumentierenwürde, von der ersten bis zur letzten Phase? Jubelnder Beifall. Du könntest bei mir wohnen, sagte ich.
Ja, natürlich, wir waren alle ein bißchen betrunken, aber das allein kann es nicht gewesen sein. Es war auch der Zeitpunkt, der war günstig für solche Phantasien. Ein Jahr früher wären sie noch nicht, ein Jahr später wären sie nicht mehr aufgekommen. Für ganz kurze Zeit hielt sich das, was wir »Wirklichkeit« nennen, in der Schwebe. Unwillkürlich paßten wir uns diesem Schwebezustand an.
Es gab noch nicht das Drohwort Irak, es gab gewisse Fotos auf den Frontseiten der Zeitungen noch nicht. In der Rückschau zeigt sich, was wir auch selber von uns glauben mochten – daß wir ernüchtert seien, in gewisser Weise abgebrüht, auf alles gefaßt –, wir waren noch immer ein wenig naiv. An heute gemessen, noch immer ein wenig zu unschuldig. Ein Wort, das nicht zu rechtfertigen war am Ende des Jahrhunderts der Extreme, der Gewalt, der Ströme von Blut, der Wogen von Verrat, Denunziation, Gemeinheiten aller Art, vor denen niemand unter uns Mitlebenden verschont geblieben ist. Und doch, und doch … Die hier saßen, untergetaucht, so kam es mir vor, in ein helles Zwielicht, schienen eine beinahe sträfliche Hoffnung auf die Zukunft zu setzen.
Jemand schlug vor, wir sollten singen. Wieder erlebte ich, daß Amerikaner keine Lieder kennen. Schließlich einigten wir uns auf »We shall overcome«. Einst hätten sie es begeistert gesungen. Von uns beiden Deutschen wollten sie »Am Brunnen vor dem Tore« hören.
Plötzlich waren die Sterne doch noch angesprungen, wir löschten unsere Kerzen, damit wir sie deutlich sehen konnten. Es war still geworden. Aus einem der oberen Fenster rief Greg einen Nachtgruß zu uns herunter. Spät sammelten wir den Abfall in Säcken ein und gingen auseinander. Auch Angelina war verschwunden.
John und Judy waren nach Berlin geflogen, um Johns neue Ostberliner Verwandte persönlich kennenzulernen.
Die Zeit, die unendlich erschienen war, wurde knapp.
Einmal noch traf ich mich mit Bob Rice. Hallo, sagte er zum Abschied. What about my overcoat.
O Bob, sagte ich. Der Mantel ist unzerstörbar. Er hat mir gute Dienste geleistet. Ich glaube, ich habe ihn dir zurückerstattet.
Bob sagte, so etwas habe er sich schon gedacht.
Die Farewell-Partys nahmen zu, einmal fuhr ich in meinem GEO ohne Klimaanlage in glühender Hitze den ganzen Olympic Boulevard hinunter bis zum Doheny Drive, um bei dem berühmten deutschen Fleischer sechzig Kalbswürstchen abzuholen und dann einen ganzen Vormittag lang eine Riesenschüssel Kartoffelsalat herzustellen. Jeder und jede von uns brachte ein Gericht aus der Heimat mit, und alle Flaschen, in denen noch Reste von Alkohol waren, und es wurde eine besonders schöne Party. Als Francesco in warmen Worten, immer noch mit schwerem Akzent, seine Dankes- und Abschiedsrede gehalten hatte, ließ der Direktor vom staff uns wissen, wie es ihn freue, daß wir anscheinend doch die Zeit hier genossen, daß wir sie alle und die ganze Institution nicht nur skeptisch gesehen hätten, da könne er ja ruhig zugeben, daß wir ihnen, dem staff, als die kritischste Gruppe erschienen seien, die sie bisher gehabt hätten, allerdings auch als die tüchtigste und selbständigste.
Mrs. Ascott trug eines ihrer großgeblümten Gewänder, kannte immer noch kaum einen von uns, begann aber unter dem Einfluß starker Getränke, die sie zu schätzen schien, verschiedene Gäste, die ihr über den Weg liefen, anzureden und in ziellose Unterhaltungen zu verwickeln, wobei sie ihre Gesprächspartner nicht ansah, sondern einen Punkt hinter ihrer linken Schulter fixierte. Francesco sagte: Weißt du, was mit der ist? Die ist schüchtern. Die hat Komplexe. Während Herr Enrico all seine Zurückhaltung ablegte und einen flotten Mexikaner gab, dem Tanz mit bevorzugten Mitgliedern des weiblichenGeschlechts nicht abgeneigt. Ria und Ines wechselten sich ab, der tanzt uns nieder, sagte Ria.
Zu mir setzte sich der Direktor. Er wollte wissen, was ich jetzt vorhätte. Ich würde noch eine Reise in den Südwesten machen, sagte ich. Unter anderem zu den
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