Stadt der Engel
nicht gekannt haben, das uns begleitet, wenn wir sehen, dass keine unserer unausweichlichen entscheidungen richtig ist. dass wir keine wahl zwischen falsch und richtig haben.
Daß Angelina mich hierher begleitet hatte, wunderte mich nicht. Ohne sie wäre meine Nacht in dem nüchternen, dumpf riechenden Motelzimmer mit dem riesigen Doppelbett allzu trostlos gewesen. Von dem zerschlissenen Sessel in der Zimmerecke neben dem Fernseher musterte sie alle Gegenstände in dieser traurigen Behausung. Allein durch ihr Benehmen gab sie mir zu verstehen, es existiere ein Zusammenhang zwischen solchen Zimmern und der strahlenden Bombe in dem lichtdurchfluteten Museum. Das eine sei die Bedingung für das andere. Was soll das, Angelina, sagte ich unglücklich, da setzte sie sich rittlings auf die Bombe und flog durch das breite Fenster davon.
Am nächsten Tag fuhren wir bei schlechtem Wetter ein beträchtliches Stück durch New Mexico und übernachteten in der Thunderbird Lodge, deren Zimmer auf deprimierende Weise allen anderen Zimmern glichen, in denen wir auf unserer Reise Unterkunft fanden.
Mir träumte, eine kleine Anzahl von Touristen ist im Aufbruch zu einer Expedition, alle tragen wir gelbe Anoraks und sogar Regenhüte, der Leiter unserer Gruppe warnt uns vor »üblem« Wetter, dem wir begegnen werden. Er flößt mir kein Vertrauen ein, aber aus irgendeinem Grund scheint man nicht mehr zurückzukönnen, wenn man einmal zugesagt hat. Die eine der beiden unansehnlichen Frauen, die zu uns gehören, sagt: Gott sieht alles. Wir müssen einen »hidden way« nehmen. Da sagt die andere: Wenn Gott sowieso alles sieht, können wir auch einen ganz offenen Weg gehen. Ich grübele darüber, was wir zu verbergen haben und welche von beiden recht hat, und kann mich nicht entscheiden. Ich weiß nur, ich möchte nicht hier sein, mir fällt aber nicht ein, wo ich sonst sein möchte. Dann denke ich:
ich möchte sein, wo es noch geheimnisse gibt. wo nicht einem jeden jedes geheimnis mit gewalt entrissen wird, weil nur so die welt sauber sein kann.
Ich erwachte müde und mit zerschlagenen Gliedern. Das Wetter war noch schlechter als in meinem Traum: Kälte, Regen, Wind. Wir beschlossen, einen weiteren Tag in der Thunderbird Lodge zu bleiben, und ließen uns dazu hinreißen, uns einer Gruppe von Touristen anzuschließen, die trotz des unwirtlichen Wetters am Nachmittag einen Ausflug in den Canyon de Chelly machen wollten. Wir zogen alle warmen Sachen übereinander, die wir finden konnten. Wir würden auf einem offenen Truck fahren. Regenzeug wurde verteilt, das war unsere Rettung. Es hielt auch etwas den Wind ab, trotzdem froren wir mit der Zeit erbärmlich.
Timothy, ein Navajo-Indianer – die Navajo sind der größte Indianerstamm in Arizona –, war unser Fahrer und Guide. Er stellte sich vor: Er sei im Canyon geboren, das sei sein playground gewesen, die Tour durch den Canyon mache er seit neun Jahren, zweimal täglich. Er hielt bei den Touristenattraktionen. Im Schneetreiben standen wir auf einem Aussichtspunkt am Nordrand des Canyons, von wo aus wir nicht nur in die tiefe Kluft blickten, sondern weiter unten Ruinen der Anasazi liegen sahen, kleine, ineinandergeschachtelte Behausungen, in Höhlen hineingebaut – die Hinterlassenschaft jenes uralten geheimnisvollen Volkes, das hier wohl hunderte von Jahren gelebt hatte und dann auf rätselhafte Weise verschwunden war, erklärte Timothy. Es müssen, an der Größe ihrer Wohnstätten gemessen, kleine Menschen gewesen sein. Wir sahen ihre Piktogramme an der gegenüberliegenden steil aufragenden Felswand, weiße Zeichnungen, Antilopen, tanzende Männer, auch zweimal eine Swastika, Sonne und Mond als Kreise, größer und kleiner, schön und rührend. Timothy meinte, die Anasazi hätten jeden Morgen zu »Sunny Moon« gebetet. Er sagte nicht, woher er das wissen konnte, aber ich wollte es glauben. Ich spürte, wie das Geheimnis dieser frühen Menschen mich infizierte, es sollte mich nicht mehr loslassen.
Die späteren Navajo haben neben die weißen Piktogramme der Anasazi andere Piktogramme in roter Farbe gesetzt,ebenfalls Antilopen, aber auch Pferde, die sie bei den Spaniern gesehen haben mußten. Immer wieder trafen wir auf die Ruinen der Anasazi in den Höhlen der steilen Felsabhänge, unter den überstehenden Klippen. Diese Behausungen, die wohl Zeremonien dienten, waren nur von oben mit Leitern zu erreichen. Nein, sagte Timothy, der natürlich auch einen Indianernamen hatte, den er
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