Stadt der Engel
Hopi-Indianern.
Oh, sagte der Direktor. Sie suchen die Seele Amerikas. Good luck.
Am Treppenaufgang stand Angelina und betrachtete das Fest. Sie lächelte, als ich an ihr vorbeiging. Ich verabschiedete mich nicht von ihr. See you later, sagte ich. Sie schien sich nicht darüber zu wundern.
Ich erinnere mich, daß ich schwankte, ob ich die Reise in den Südwesten Amerikas mit Lowis und Sanna wirklich unternehmen sollte. Eher den Freunden zuliebe, die behaupteten, eine solche Gelegenheit dürfe ich nicht ausschlagen, sagte ich zu und war dann überrascht, als ich wirklich in der Maschine saß, die in Albuquerque landen würde, einer Stadt, von der ich vorher kaum gehört hatte und über die ich nichts wußte. Ich merkte mir, daß ich in eine Atmosphäre von Klarheit eintauchte, irgendwann über dem Staatsgebiet von Arizona, und daß diese Klarheit blieb, die ganze Reise über, die ja nicht länger als zehn Tage dauerte, und daß der Platz im Flugzeug neben mir leer geblieben war, ich aber wußte, wer ihn einnahm, Angelina war mitgekommen, wortlos waren wir uns darüber einig geworden. Ich hatte verstanden, daß sie immer dasein würde, wenn sie gebraucht wurde. Die Wirrnis der letzten Zeit fiel von mir ab.
Kam ich erst jetzt in dieses Land, das auf Legenden gebaut war? Als würden die Monate davor, in der dichtesten Wirklichkeit gelebt, verblassen. Als wäre dieser staubige Ort, in den die Wüstenwinde hineinwehten, die erste amerikanische Stadt, die ich sah, als wären die Indianerinnen, die in schweigsamer Reihe unter den Arkaden am Marktplatz saßen und Keramik mit indianischen Mustern feilboten, die ersten amerikanischen Frauen, die runden bienenkorbförmigen Pueblos auf dem Wegnach Santa Fe, die wir besichtigten, die angemessenen Behausungen.
Lui, die Psychoanalytikerin, die ihren Namen von einem indianischen Heiler bekommen hatte, der sie als Kind aus schwerer Krankheit rettete, nachdem die anderen Ärzte sie schon aufgegeben hatten, Lui, die Freundin von Sanna, lebte mit ihren Hunden am Rand der Wüste im Norden der Stadt, sie ließ uns in ihrem Bungalow übernachten, der angefüllt war mit indianischer Kunst, mit farbigen Töpferwaren und Masken, mit Schnitzereien, mit gewebten Teppichen und Stoffen, in die Lui sich selbst kleidete. Es liege ihr fern, sagte sie, sich in die andere Kultur einzuschleichen, sich eine Zugehörigkeit anzumaßen, die ihr nicht zustand. Aber es würde ihr falsch vorkommen, hier zwischen den nichtssagenden Alltagsgegenständen zu leben, die der durchschnittliche Amerikaner für unverzichtbar halte.
Ein Zauber ging von ihrer Behausung aus, dem wir uns nicht entziehen konnten und wollten. Daß Patienten gerne zu ihr kommen mochten, konnten wir uns vorstellen. Einmal erwähnte sie nebenbei, auch aus Los Alamos kämen Rat und Heilung Suchende, darunter viele Frauen, die ihr leeres Leben am Rande der Forschungslabors, in denen ihre Männer unter strengstem Schweigegebot an den furchtbarsten Waffen arbeiteten, nicht mehr ertrugen. Und wenn die Männer selber Rat suchten, sagte sie, dann folge ihnen das FBI auf dem Fuße und wolle wissen, was sie gesagt hätten und ob sie ein Sicherheitsrisiko seien. Sie lüge nicht, sagte Lui, sage aber auch nicht die volle Wahrheit und bespreche mit ihren Patienten, was sie den FBI-Leuten – psychologisch geschulten, intelligenten Beamten – erzählen könne, ohne den Patienten zu schaden. Die »Seele Amerikas«, sagte ich, und Lui erklärte mit einem resignierten Lachen, die sei längst auf einem Untersuchungstisch festgeschnallt und werde im Licht greller Lampen seziert und indoktriniert.
Aber wie sie dann ihren Beruf ausüben könne.
Indem sie Kompromisse mache, wie jeder. Und darauf achte, daß der Kern ihrer Arbeit nicht beschädigt werde.
Zum Glück habe ich unsere Route mit dickem roten Stift auf einer Landkarte von »Indian Country« eingezeichnet, ich würde sonst den bizarren Weg, den wir einschlugen, mit seiner Grundrichtung gen Westen, aber an zwei Stellen mit starken Ausschlägen nach Norden, gewiß nicht wiederfinden. Oder ohne die Notizen in dem roten Ringbuch – was wüßte ich noch von unserer Reise, die ich, solange sie andauerte, für unvergeßlich hielt? Oder ohne die Fotos, die uns, im Schatten unseres tüchtigen, grünlich schillernden Opel, in unsere Aufzeichnungen vertieft zeigen, umgeben von spärlichem dornigen Pflanzenwuchs?
War uns damals schon bewußt, daß wir unterwegs waren zu den Extrempunkten des amerikanischen
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