Stadt der Engel
meinem Besuch des kleinen bescheidenen Holocaust-Museums von Los Angeles. Zwei Räume. In dem einen an den Wänden Fotos von jüdischem Leben in Europa vor der Auslöschung. Familienbilder. Dokumente von der Vernichtung der europäischen Juden. Fotos von Überlebenden. – Der zweite Raum leer bis auf einen Eisenbahnwagen, nachgebaut jenen Viehwaggons, in denen die Menschen in die Vernichtungslager deportiert wurden.
Ich setzte mich mit dem noch jungen Direktor des Museums, einem kleinen, unauffälligen Mann mit zupackendem Blick, in ein Café in der Nachbarschaft. Ich wußte, ehe er es aussprach, was er mich fragen würde, auch er hatte natürlich die Bilder aus Deutschland in den Zeitungen gesehen. Ich kam ihm zuvor, sagte, ich hätte selbst auch keine Erklärung für die Ausschreitungen gegen Asylanten in Deutschland. Ich sagte, die Jugendlichen, besonders die in Ostdeutschland, hätten in den letzten Jahren erfahren, wie schwer es ist, schwach zu sein. Er sagte: Aber sie s i n d schwach, und sie müssen lernen, trotzdem nicht zuzuschlagen. Ich glaubte ihm anzumerken, daß auch für ihn die Deutschen mit einer unheilbaren Krankheit infiziertwaren, mit einem Virus, der sich in besseren Zeiten einpuppen und totstellen konnte, so daß Deutschland wie irgendein normales Land wirkte, den aber jede Krise aktivierte, so daß er ausbrach und aggressiv wurde. Der Virus hieß Menschenverachtung. Ich hatte ihn in dem Teil des Landes, in dem ich lebte, lange Zeit für besiegt gehalten, besiegt durch Aufklärung. Als ich dieses Wort aussprach, glaubte ich in den Augen meines jüdischen Gesprächspartners etwas wie eine traurige Belustigung zu sehen. Aufklärung! sagte er gedehnt. Ja, ja. Dieser Hang zur Selbsttäuschung. War ja auch uns nicht fremd.
Mir war es neu, und ich spürte, wie ich mich dagegen auflehnte, hier und jetzt für das ganze Deutschland reden und einstehen zu sollen, das ja auch mir zu großen Teilen nicht nur geographisch fremd war. Er ließ mich reden, mich verhaspeln, Beweise suchen, Beteuerungen ausstoßen. Endlich schwieg ich. Und am Ende wieder diese ungläubige Frage: Und Sie wollen wirklich dorthin zurückgehen? Und meine schnelle Antwort: Aber ja. Selbstverständlich. Was denn sonst.
Und nachdem wir uns verabschiedet hatten und ich wieder im Bus saß, wurde ich das Gefühl nicht los, daß ich vergessen hatte, ihm etwas Wichtiges zu sagen. Ich kam nicht darauf, was es gewesen sein könnte.
An diesem Tag ging ich nicht mehr ins CENTER. Ich setzte mich an meine Maschine und schrieb:
wie sollen die überlebenden damit leben. wie sollen wir deutschen damit leben. es ist eine last, die von jahr zu jahr schwerer wird. da gibt es nichts zu verarbeiten, nichts aufzulösen, keinen sinn zu finden. da gibt es nichts als ein jedes mass sprengendes verbrechen auf unserer seite und ein jedes mass sprengendes leid auf ihrer seite.
Und wie lange haben wir gebraucht, »unser« zu sagen, unser Verbrechen. Und wie lange haben wir, habe ich mich anAngebote geklammert, die versprachen, das ganz Andere zu sein, der reine Gegensatz zu diesen Verbrechen, eine menschengemäße Gesellschaft, Kommunismus.
Die Ausbeuter nennen ihn ein Verbrechen
Aber wir wissen: Er ist das Ende der Verbrechen.
Das Telefon. Peter Gutman. Es war Abend geworden. Ob er mir etwas vorlesen dürfe. Ein Zitat.
Bitte sehr. Wenn es nicht zu lang und zu kompliziert ist.
Er las: Der Erzähler – das ist der Mann , Pardon, Madame!, der den Docht seines Lebens an der sanften Flamme seiner Erzählung sich vollkommen könnte verzehren lassen.
Na ja. Ein wunderbarer Satz.
Aber?
Die sanfte Flamme würde ich ersetzen durch die sengende Flamme.
Dann, sagte Peter Gutman, würde der Docht des Lebens nicht verzehrt, sondern womöglich verkohlt werden.
Das ist es ja gerade, sagte ich.
Aha, sagte Peter Gutman. Ich verstehe. Schlafen Sie gut, Madame.
Sagen wird man über unsere Tage:
Altes Eisen hatten sie und wenig Mut,
denn sie hatten wenig Kraft nach ihrer Niederlage.
Sagen wird man über unsere Tage:
Ihre Herzen waren voll von bittrem Blut.
Und ihr Leben lief auf ausgefahrnen Gleisen,
wird man sagen –
und man wird auf gläsernen Terrassen stehn –
Und auf Brücken deuten –
Und auf Gärten weisen –
Und man wird die junge Stadt zu Füßen liegen sehn.
Im Bett drehten sich diese Verse durch meinen Kopf. Der Dichter KuBa, der sie einst schrieb, hatte an sie geglaubt und uns an sie glauben gemacht und war außer sich geraten, als
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