Stadt der Engel
unser Glaube nachließ, und war zusammengebrochen, als sein unverrückbarer Glaube ihm mit Hohn und Spott vergolten wurde. Ich konnte in den Hohn nicht einstimmen und kann es bis heute nicht. Sagen wird man über unsere Tage … O nein, KuBa, genau das wird man nicht sagen. Und man sagt auch nicht: Mutter von Gori, wie groß ist dein Sohn. Zum Glück sagt man es nicht, denke ich, und halte das dünne Bändchen mit dem schmucklosen grauen Einband in der Hand, blättere und finde die Zeilen, die ich suchte:
Gori, du herbe, in Gärten verloren,
Wiege in friedlose Zeiten gestellt.
Tapfere Menschheit, dem Frieden verschworen,
Sei wie der Vater des Friedens der Welt.
Kopf des Proleten, Hirn des Gelehrten,
Rock des Soldaten: Genosse Stalin.
KuBa: Einer von denen, die zur rechten Zeit gestorben sind, denke ich. Gestorben und vergessen, oder brauchbar nur noch als Objekt höhnischer Ablehnung, zu dem er sich ja auch eignet. In dem Büchlein steht als Erscheinungsdatum das Jahr 1952, darüber mit Tinte das Datum geschrieben, als ihr es gekauft habt: 1953.
Die Universität lag hinter dir, ein Kind wollte versorgt sein, eine Wohnung für die Familie war das dringlichste, durch Trümmerstraßen gingst du zu deiner Arbeitsstelle beim Schriftstellerverband in der Friedrichstraße, auf einer Büroetage residierte der Dichter KuBa im Namen und im Interesse seiner Kollegen, hielt blindlings Referate vor jungen Autoren, die ihr ihm ausgearbeitet hattet, ließ sich von seinem Fahrer den einzigen Anzug kaufen, den er für offizielle Anlässe brauchte, der paßte ihm nicht, aber er paßte seinem Fahrer und wurdeihm denn ja auch überlassen. Wenn jemand kein Geld hatte, griff er in seine Taschen und gab weg, was er da zutage förderte. Er war stolz darauf, ein Prolet zu sein, in der englischen Emigration wurde er Kommunist, einer der gläubigsten und zugleich unerbittlichsten, engstirnigsten, der Partei bedingungslos ergeben. Heute kennt man ihn nur noch als denjenigen, der nach dem 17. Juni 1953 das aufmüpfige Volk strafend zurechtwies: Nun müsse es aber viel arbeiten, um diesen seinen Fehler gegenüber der Regierung wieder gutzumachen. Und man kennt ihn wegen der Antwort, die Brecht ihm versetzte: Dann solle die Regierung sich doch ein anderes Volk wählen.
Er hat sein Bändchen seinem Freund Louis Fürnberg gewidmet, seinem Vorbild und Förderer, einem der ersten aus der Riege der zurückkehrenden Emigranten – eine Erinnerung zieht die andere nach sich –, er lud euch nach Weimar ein. Wußtet ihr damals schon, daß Weimar, seine Tätigkeit am Goethe-Schiller-Archiv, seine Rettung war? In seiner Heimat Prag hätten die Slánský-Prozesse für ihn den Tod bedeuten können. Enge Genossen von ihm – zumeist Juden wie er – waren als »Verräter« verurteilt, einige erschossen worden.
Wann erfuhr ich das? Und aus wessen Mund? Fürnberg war neugierig auf euch Junge, Namenlose. Er hat euch viel erzählt. Ich sehe ihn in seinem Haus in Weimar am Klavier sitzen, auch Songs aus seiner Agitprop-Truppe in den zwanziger Jahren intonierend, die ihr auswendig lerntet wie seine Gedichte, mitsingen konntet, wie den
Song von den Träumern
Wenn die Träumer aufmarschieren,
ihre Träume auszuführen,
dann ist nichts verschlafen worden und versäumt.
Wer im Traum die Erde wandelt
und im Wachsein danach handelt,
der hat gut geträumt
und der ist unser Freund.
Ein glühender Kommunist. Mit ihm begann für euch der lange Weg der Erkenntnis. Fürnberg, Sohn deutsch-jüdischer Fabrikanten in Karlsbad, verarmt, war nicht rechtzeitig vor dem Einmarsch der Deutschen geflohen, auf dem Transport ins Zuchthaus hatten sie ihm das Gehör zerschlagen, indem sie Bücher auf ihn warfen, seine Frau hatte mit dem Geld des Großvaters einen SS-Mann bestechen und Fürnberg freikaufen können, der mit der Familie das Exil in Palästina verbrachte, für euch dann der Verfasser des Jugendlieds Du hast ja ein Ziel vor den Augen, damit du in der Welt dich nicht irrst, das erschien euch soviel besser als alle die Lieder, die eure Kindheit und Jugend beherrscht hatten und die man so schwer vergessen konnte. Aber Fürnberg war auch der Autor inniger Gedichte und feinsinniger Prosa wie der »Mozart-Novelle«. Und heute ist er vergessen oder wird, schlimmer noch, nur genannt, wenn man ein besonders absurdes Beispiel für Parteidichtung braucht, denn auch das hat er ja geschrieben, das Lied von der Partei , das er – wer weiß das schon – gegen seine
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