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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Mülltonnen in den schmalen Hintersträßchen ergiebig für sie. Als ich abends kam, hockten sie im Dunkeln vor dem Rondell mit dem Pomeranzenbaum und starrten mich an. Hi! sagte ich freundlich, was sie nicht beeindruckte. Na nun laßt mich mal durch, sagte ich, aber Deutsch verstanden sie ja nicht, da ging ich Schritt für Schritt auf sie zu, auf ihre Maskengesichter mit den immer aufgerissenen Augen, sie hockten unbeweglich, don’t worry, sagte ich mehr zu mir alszu ihnen, denn sie waren offensichtlich in keiner Weise beunruhigt, also sollte ich mich jetzt einfach an ihnen vorbeidrücken, oder was? Da wurde die Tür des ms. victoria aufgerissen, der große Gast mit dem Indianergesicht trat heraus, er klatschte in die Hände und schrie laut und aggressiv, die Racoons huschten ins Gebüsch. Come in! rief der Mann mir zu, hurry up, please, they are dangerous, ich lief ins Haus, und als ich mich unter der Tür umdrehte, blickte ich in drei beharrlich aufgerissene Augenpaare. They are crazy, sagte der Mann, they behave abnormally.
    In den nächsten Tagen sah ich dann die abgerissene graue Katze ums Haus schleichen, NO PETS! stand groß an der Tür, niemand konnte es wagen, an Mrs. Ascott vorbei dieses Tier ins Haus zu schleppen, und wen fütterte man eigentlich, wenn man Eßbares ins Gebüsch legte, die verrückten Racoons oder die struppige Katze, aber nach wenigen Tagen schon war ihr Fell etwas glatter geworden, dann hatte sie ein braunes Lederhalsband um, und dann sah ich sie eines Mittags unter dem Sonnenschirm im Vorgarten auf dem Schoß des großen Mannes mit dem Indianergesicht sitzen, zu seinen Füßen ein Tellerchen mit Milch, und er streichelte die Katze, die sich zutraulich an ihn schmiegte, er sah meinen Blick, sagte: I adopted it, und seitdem lag die Katze in aller Seelenruhe zusammengerollt vor der Tür des ms. victoria in der Sonne und ließ sich von vertrauten Personen streicheln. Peter Gutman sagte, der Große sei selbst ein bißchen crazy. Hast du ihn noch nie singen hören? Er legt alte Gesangsplatten auf, die schon ein bißchen zerkratzt sind, und dann singt er mit. – Gut? fragte ich. – Gräßlich. Aber das ist okay, ich liebe die natürlichen Geräusche in meiner Umgebung, besonders die, die ich auf einem Luxusdampfer nicht hören würde.
    Ablenkungsmanöver, das wußten wir beide. Wir redeten über alles mögliche, nur nicht über den Inhalt der Faxe, die in steigender Zahl für mich im Sekretariat des CENTER eingingen und von Kätchen kommentarlos in mein Postfach gelegtwurden. Als gäbe es für große Teile der deutschen Presse keinen interessanteren Gegenstand als mein Verhalten. Ich las nicht alle Artikel sofort, es gab eine Grenze für die Tagesration von Anwürfen, die ich aushalten konnte. Im übrigen hatte sich herausgestellt, daß ich, selbst für die einfachsten Alltagsverrichtungen wie Einkaufen, entgegen meinem ursprünglichen Wunsch ein Auto brauchte. Das war ein schwieriges Unterfangen, das mich tagelang in Anspruch nahm, mich ablenkte und mit einem smarten Verkäufer vertraut machte. Schließlich kaufte ich zu dessen Begeisterung einen feuerroten GEO, der allerdings bei scharfen Lenkmanövern nach links ein merkwürdiges Kratzgeräusch von sich gab, aber wann mußte ich schon scharf nach links lenken? Er war billig und paßte in die Lücke auf Platz sieben in der Garage des ms. victoria .
    Peter Gutman, den ich warnte, mit mir zu fahren, bestand trotz meiner Warnung darauf, mit diesem Auto und mit mir am Steuer in eine uns beiden fremde Gegend von Los Angeles zu fahren, in der Malinka uns erwartete, um uns das Haus zu zeigen, das sie kaufen wollte.
    Das Haus von Malinka war dürftig, in einer dürftigen Gegend, wir verständigten uns mit einem Blick und hielten uns im Urteil zurück. Daß es bessere Häuser gebe, wisse sie selbst, sagte Malinka. Aber das hier könne sie bezahlen. Und es wäre ihr eigenes. Und es liege weit genug entfernt von einem möglichen neuen Ausbruchsort der riots. Denn sie erinnere sich recht gut an ihre gespaltenen Gefühle während der riots im April. Die eine Person in ihr habe sich aufgerichtet und triumphiert: Ha! Endlich!, die andere habe bedenklich die näher kommenden Brandherde verfolgt und gesagt: Mögt ihr recht haben, mögt ihr ein Recht darauf haben, zu revoltieren, aber verdammt noch mal, verschont mein Haus. So ist es, sagte sie: Je mehr man besitzt, desto weniger kann man sich erlauben, die Welt zu sehen, wie sie ist – und am wenigsten

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