Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
Adoptivvaters Voron. Hugh d’Ambray. Rolands Kriegsherr.
Das konnte kein Zufall sein. Jeder wusste, dass Roland irgendwann versuchen würde, sein Territorium zu erweitern. Gegenwärtig beherrschte er ein Gebiet, das sich quer durch Iowa bis nach North Dakota erstreckte. Voron hatte mir erklärt, dass es sich dabei um Landstriche handelte, die sonst niemand haben wollte. Roland war dort unbehelligt und konnte in aller Ruhe seine Streitkräfte aufbauen, ohne dass er für jemand anderen eine so große Gefahr darstellte, dass dieser andere zum Angriff auf ihn geblasen hätte. Wenn seine Streitkräfte schließlich schlagkräftig genug waren, würde er sein Territorium nach Osten oder Westen ausweiten.
Ich versuchte wie Roland zu denken. Schließlich hatte kein anderer als Voron mich großgezogen, verdammt noch mal, da sollte ich doch wohl in der Lage sein, mich in Roland hineinzuversetzen. Was wollte er in Atlanta?
Das Rudel. Natürlich. Im Laufe des vergangenen Jahres war das hiesige Rudel gewachsen. Es war nun das zweitgrößte in ganz Nordamerika. Wenn ich Roland wäre, würde ich versuchen, es jetzt zu eliminieren, ehe es noch stärker wurde. Er wollte das Volk, seine Helfershelfer, nicht in diese Sache mit hineinziehen, denn alles, was sie taten, ließ sich zu ihm zurückverfolgen. Nein, stattdessen hatte er die Rakshasas angeheuert. Die Rakshasas waren dumm und bösartig. Er würde sie wie einen Knüppel dazu nutzen, dem Rudel eins überzubraten. Sie konnten dabei keinen endgültigen Sieg davontragen, aber das Rudel wäre anschließend immerhin geschwächt. Und sein Kriegsherr war hier, um dafür zu sorgen, dass alles glattlief.
Hugh d’Ambray würde mich in der Grube kämpfen sehen. Möglicherweise würde er mich anhand meiner Technik identifizieren. Dann würde er das Roland melden, und der würde zwei und zwei zusammenzählen und herkommen, um nach mir zu suchen.
Der Ausgang der Arena befand sich direkt hinter mir. Nur fünfzehn Schritte, und ich hätte das Gebäude hinter mir gelassen. Nur eine Minute, und ich hätte auf meinem Pferd gesessen und wäre in die Dunkelheit entflohen. Ich hätte verschwinden können, und sie hätten mich nie im Leben gefunden. Und ich hätte damit die sechs Leute im Stich gelassen, die sich auf meine Unterstützung verließen.
Es wäre so einfach gewesen davonzulaufen. Ich hob den Blick.
»Sie machen ein Gesicht, als wäre gerade Ihr Haus abgebrannt«, bemerkte Rene.
»Ich habe nur über den Umstand nachgedacht, dass einem das Universum nie einfach nur einen Schlag ins Gesicht verpassen kann. Nein, wenn man dann am Boden liegt, muss es einem unbedingt auch noch ein paarmal in die Rippen treten. Und zum guten Schluss kippt es einem dann einen Eimer Schlamm über dem Kopf aus.«
»Sein Sie doch froh, wenn’s nur Schlamm ist. Hier unterschreiben.« Sie hielt mir ein Klemmbrett mit einem Formular hin. »Damit übernehmen Sie die alleinige Verantwortung, falls Sie in der Grube ums Leben kommen.«
Ich unterschrieb. Und zwei Minuten später ging ich schon durchs Untergeschoss, begleitet von einem finster blickenden Mann der Red Guard. Die Sorge aber lag mir wie eine Eiskugel im Magen. Ich hatte keine Schwierigkeiten, den richtigen Raum zu finden – ich hörte Andreas Stimme. »Schleuder?«
»Das heißt nur so«, sagte Raphael.
Ich ging hinein und sah sie vor einem Tisch stehen. Unterschiedliche Schusswaffen bedeckten die gesamte Tischoberfläche: ihre beiden hoch geschätzten SIG -Sauer und ein kleineres Sortiment der Fabrikate Colt, Beretta, Smith & Wesson … Sie hatte genug Waffen dabei, um eine kleine Armee damit aufzuhalten. Raphael sah ihr von einer Bank aus zu, sein Gesichtsausdruck war eine kuriose Mischung aus Ehrfurcht und Besorgnis.
Andrea sah mich und grinste. »Wisst ihr, was die mit ihren Schleudern machen können? Die können sie sich gegenseitig in den Arsch stecken!«
»Die sind eher als Fernwaffen gedacht, Andrea«, bemerkte ich.
»Ach was! Ich geh doch nicht mit einem Lappen und einem Kieselstein da raus!«
Raphael guckte ein wenig ängstlich.
Ich durchquerte den Raum, um meine Ausrüstung zu verstauen. Die Tür zum Schlafraum stand offen, und auf einem der Etagenbetten sah ich Derek, der in einem Buch las. Doolittle war ganz in der Nähe, und sein besorgter Blick hätte jeder Glucke zur Ehre gereicht.
»Dann hast du dich uns also doch angeschlossen?«, sagte ich. »Hast du nicht behauptet, wir wären alle Idioten?«
»Alter schützt vor Torheit
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