Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
der Vorhalle warten, während Rene so tat, als hätte sie in der Liste der Kämpfer tatsächlich meinen Namen gefunden. »Die Spinner«, sagte sie und blätterte in ihren Papieren. »Ist das eine Selbsteinschätzung, oder soll das witzig sein?«
»Es ist eine Schmetterlingsart. Sie wissen doch: Float like a butterfly, sting like a bee .«
»So, so.« Sie tat weiter so, als würde sie in irgendwelchen Unterlagen herumkramen.
»Sie lieben es, mir auf die Nerven zu gehen, nicht wahr?«
Sie lächelte sarkastisch. »Ich mache nur meine Arbeit.«
Sie würde mich noch eine ganze Weile warten lassen.
Ich hätte Curran küssen sollen, ehe ich dort weggegangen war. Was hatte ich schon zu verlieren?
Zwischen uns war ja nicht mal was. Die Sache zwischen Curran und mir war doch überhaupt nicht real. Das war doch reine Einbildung meinerseits. Ich hatte das dringende Bedürfnis, geliebt zu werden, und das trieb Schabernack mit meinem Hirn. Wenn man sich nach bestimmten Gefühlen sehnte, neigte man halt manchmal dazu, sich einzureden, das Gegenüber wäre ganz anders, als es in Wirklichkeit war. Ich hatte dieses Spielchen mit Crest gespielt und mir dabei übel die Finger verbrannt. Nein danke. Curran hatte ich weiter nichts zu bieten als einen willigen Leib und die Befriedigung, gesiegt zu haben. Das war die Realität – die kalte, hässliche, unentrinnbare Realität.
Rene griff nach ihrem Rapier. Ich wandte mich um.
Der dunkelhaarige Schwertkämpfer, dem ich bei meinem ersten Besuch der Games mit Saiman auf dem Aussichtsdeck begegnet war, kam zur Tür herein. Er trug auch diesmal ein graues Ledergewand und einen dunklen Umhang. Er wurde von zwei Männern begleitet, die ebenfalls so einen Umhang trugen. Der erste Mann war jung und blond, und eine Narbe zog sich an seinem Hals entlang, seine dunklen Augen blickten ausgesprochen wachsam. Der zweite Mann war älter und wirkte abgehärmt. Als unsere Blicke sich begegneten, wäre ich beinah einen Schritt zurückgewichen.
Nick.
Der Einzelkämpfer des Ordens. Der Orden hielt sehr viel von Verantwortlichkeit und Transparenz der Öffentlichkeit gegenüber, doch manche Dinge waren selbst für die Ritter zu heikel und finster. Wenn ein derartiges Problem auftauchte, setzte der Orden einen Einzelkämpfer darauf an. Der erledigte den Job und verschwand anschließend aus der Stadt.
Der Red-Point-Killer, der Greg auf dem Gewissen hatte, war so ein Fall gewesen. Damals hatte Nick eingreifen müssen. Nun sah er mich an, als hätte er mich nie zuvor gesehen. Und ich gab mir alle Mühe, es ihm gleichzutun.
Was auch immer Nick im Schilde führte, er war zweifellos undercover hier.
Der Schwertkämpfer erblickte mich. »Sind wir uns nicht schon einmal begegnet, gnädige Frau?«
Seine Stimme klang ganz sanft. Er redete wie ein satt gefressener Wolf, der gerade gute Laune hatte. Ich schenkte ihm ein Lächeln. »Wenn wir uns schon einmal begegnet wären, wüssten Sie, dass ich alles andere als gnädig bin.«
Er kniff ein wenig die Augen zusammen. »Und doch kommen Sie mir irgendwie bekannt vor. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich Sie schon einmal gesehen habe. Vielleicht sollten wir uns etwas privater weiter unterhalten … «
»Sie müssen nicht mit ihm sprechen«, ging Rene dazwischen. Sie war ganz blass geworden. Und sie schluckte. Sie hatte Angst, wurde mir klar. Sie hatte Angst, und sie war das nicht gewöhnt und konnte nicht damit umgehen.
»Denken Sie an unsere Abmachung. Sie sind als Beobachter willkommen, aber das war’s dann auch. Das hier ist kein Übungsplatz für Sie. Wenn Sie außerhalb der Arena Kämpfer ansprechen wollen, ist Ihnen das unbenommen. Hier drinnen aber rekrutieren Sie niemanden. Und schon gar nicht vor meinen Augen.«
»Sind Sie denn überhaupt eine Kämpferin, gnädige Frau?«
Schon wieder dieses »gnädig«. Brrr. »Nur gelegentlich.«
»Sie ist Mitglied einer Mannschaft, und Sie halten uns bei der Arbeit auf.« Rene funkelte ihn an.
Der Mann erwiderte ihren Blick, und Rene wurde weiß wie eine Wand, hielt aber stand. Schließlich lächelte er freundlich, verneigte sich vor uns und ging weiter, der Blonde und Nick folgten ihm.
Rene sah ihm mit unverhohlenem Hass nach.
»Wer war das denn?«, fragte ich.
»Ein Scheißkerl«, murmelte sie und überflog weiter die Papiere. »Nennt sich Hugh d’Ambray.«
Da sprang die Welt aus den Angeln.
Hugh d’Ambray. Der Präzeptor des Ordens der Eisernen Hunde. Der beste Schüler und Nachfolger meines
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