Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
nichts.
Als er an uns vorüberging, lehnte er sich zu Curran hinüber und gab ihm einen Papierfächer, der aus irgendeinem Handzettel gefaltet war.
Curran sah den Fächer an. »Was soll das?«
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme, Euer Majestät. Für den Fall, dass die Dame in Ohnmacht fällt.«
Curran sah ihn nur an.
Raphael schlenderte zur Grube, wandte sich noch einmal um, ließ die Muskeln spielen und zwinkerte mir zu.
»Gib das Ding her«, sagte ich zu Curran. »Ich brauche dringend eine Abkühlung.«
»Nein, brauchst du nicht.«
Wir stiegen den Aufgang hinauf, um besser sehen zu können. Als wir drei uns auf der Treppe niederließen, lud Andrea gerade auf äußerst geschäftsmäßige Weise ihre Armbrust. Die drei anderen Gestaltwandler gingen vor ihr in Stellung.
Am anderen Ende der Sandfläche warteten die Killer in einer doppelten Zweierformation.
Die Killer machten einen ausgesprochen japanischen Eindruck. Ihr Stein, ein riesenhaftes Monster, musste fast vierhundert Pfund auf die Waage bringen. Er hatte tiefblaue Haut, war über zweieinhalb Meter groß und besaß Arme wie Baumstämme. Der Bauch, der über seinen Lendenschurz ragte, war so prall, als hätte er eine Kanonenkugel verschluckt. Zwei krumme Hörner standen seitlich aus seiner struppigen Haarmähne, und seinen Unterkiefer zierten zwei dazu passende Hauer. Sein viehisch wirkendes Gesicht drückte weiter nichts aus als pure Wut, und der riesige Eisenknüppel, den er in der Hand hielt, ließ seinen Willen erkennen, dieser Wut freien Lauf zu lassen. Er war ein Oni, ein japanischer Oger.
Neben ihm saß eine Bestie, die eine erstaunliche Ähnlichkeit mit den Steinstatuen aufwies, die oft den Eingang chinesischer Tempel bewachten. Dick und muskulös, glotzte sie aus hochintelligent wirkenden Augen ins Publikum. Ihre Flanken waren dunkelrot, ihre Mähne war kurz und bestand aus rubinroten Löckchen. Das Wesen schnupperte und schüttelte den unverhältnismäßig großen Kopf. Dann tat sich das Maul auf, weiter und immer weiter, bis der Kopf fast gespalten war. Die Lichter im Saal spiegelten sich auf den leuchtend weißen Reißzähnen. Ein Fu-Löwe.
Hinter dem Löwen hielt eine schmallippige, rothaarige Frau, die eine weiße Bluse und eine schwarze Schlaghose trug, einen Yumi, einen zwei Meter hohen, schlanken, traditionellen japanischen Bogen. Und an ihrer Seite stand ein Asiate mit eindrucksvollen hellgrünen Augen.
Die Bogenschützin spannte ihren Yumi. Sie stand breitbeinig da, die linke Körperseite ihrem Ziel zugewandt – Raphael. Sie hob den Bogen über den Kopf und ließ ihn langsam wieder sinken, wobei sie die Sehne beständig weiter spannte, bis sich das Ende des Pfeils knapp unterhalb ihres Wangenknochens befand.
Ein silberner Funke leuchtete an der Pfeilspitze auf, lief den Schaft entlang und verwandelte den ganzen Pfeil in einen weißen Blitz.
Am anderen Ende der Sandfläche wartete Andrea. Sie hatte die Armbrust zu Boden gerichtet. Raphael wirbelte das Messer in seiner rechten Hand herum.
Ich beugte mich vor, die Ellenbogen auf den Knien, die Finger beider Hände zur Faust geflochten.
»Das sind keine kleinen Kinder«, sagte Curran zu mir. »Die wissen, was sie tun.«
Für mich machte das keinen Unterschied. Ich hätte mich lieber hundert Mal in diese Grube gewagt, als mit ansehen zu müssen, wie einer von ihnen dort ums Leben kam.
Der Gong ertönte.
Die Bogenschützin schoss.
Andrea riss die Armbrust hoch und schoss ebenfalls, doch ohne zu zielen. Im selben Augenblick glitt Raphael dem leuchtenden Pfeil aus dem Weg, so geschmeidig, als bestünden seine Gelenke aus Wasser, und hieb ihn mit seinem Messer entzwei. Die Pfeilstücke fielen in den Sand, immer noch knisternd vor Magie.
Die Bogenschützin erstarrte. Ein Armbrustbolzen ragte zwischen ihren Augen hervor. Sie riss den Mund auf, der nun ein schwarzes »O« bildete, dann kippte sie um wie ein Klotz.
Der Mann an ihrer Seite schloss die Augen und wich ein Stück zurück. Sein Körper berührte dabei nie den Sandboden. Ein feines Magie-Gespinst umhüllte ihn wie Gaze und trug seinen Leib wie eine Hängematte. Sein Gesicht wirkte ganz gelassen. Er sah aus, als schliefe er.
Der Fu-Löwe brüllte, aber es klang eher nach einem mies gelaunten Marder als nach einer Raubkatze. Rötliche Rauchwolken drangen aus seinem Maul. Dann griff er an.
Er legte die Entfernung bis zu unseren Linien mit drei großen Sätzen zurück, und jedes Niederfahren seiner Pranken krachte wie ein
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