Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
trübe Brühe. Ein langes Metallrohr führte aus dem Becken heraus und verschwand unter den verbeulten Überresten eines Wohnwagens.
Der Mann auf dem Fass richtete eine Armbrust auf mich. Sie sah so ähnlich aus wie eine alte flämische Arbaleste. Die Spannvorrichtung schimmerte in jenem bläulichen Grau, das auf Stahl hindeutete, und nicht in dem helleren Aluminiumfarbton billigerer Bögen, und das bedeutete, dass diese Armbrust über eine Zugkraft von circa hundert Kilo verfügte. Damit konnte er mir aus fünfundsiebzig Meter Entfernung einen Bolzen in die Brust jagen, und er wollte, dass mir das bewusst war.
Woumm. Woumm .
So eine Arbaleste war eine ganz brauchbare Waffe. Bloß das Nachladen dauerte ewig.
Der Mann beäugte mich. »Was gibt’s?« Die Zigarette haftete an seiner Unterlippe und bewegte sich beim Sprechen mit.
»Ich bin im Auftrag des Ordens hier. Einige Hexen, die dem Zirkel ›Schwestern der Krähe‹ angehören, sind verschwunden, und ich ermittle in dem Fall. Soweit ich weiß, wohnt die Chefhexe dieses Zirkels in Honeycomb.«
»Und wer ist das ?«, fragte er und wies auf Julie, die hinter mir stand.
»Sie ist die Tochter einer Hexe aus Esmeraldas Zirkel. Ihre Mutter ist verschwunden. Sie wissen nicht zufällig etwas darüber?«
»Nein. Kann ich mal Ihren Ausweis sehen?«
Ich griff nach dem Lederetui, das ich an einem Band um den Hals trug, und nahm meinen Ordensausweis heraus. Der Mann winkte mir, zu ihm zu kommen. Ich ging hin und gab ihm meinen Ausweis. Er drehte ihn hin und her. Das kleine silberne Rechteck unten rechts auf der Karte fing einen Sonnenstrahl auf und schimmerte.
»Ist das echtes Silber?«, fragte er, wobei seine Fluppe eine Pirouette vollführte.
»Ja.« Silber ließ sich besser verzaubern als die meisten anderen Metalle.
Der Mann warf mir einen schnellen Blick zu und rieb dann durch die Klarsichthülle über das Silber. »Wie viel ist das wert?«
Gähn. »Das ist die falsche Frage.«
»Ach ja?«
»Die richtige Frage wäre, ob Ihr Leben einen Quadratzentimeter verzaubertes Silber wert ist.«
Er warf noch einen flüchtigen Blick auf den Ausweis. »Sie haben eine ganz schön große Klappe.«
Meine Hand schnellte auf sein Gesicht zu. Er wich zurück, und ich gab ihm seine Zigarette wieder. »Die Dinger können einen umbringen.«
Er steckte sich die Zigarette wieder zwischen die Lippen und gab mir den Ausweis zurück. »Ich heiße Custer.«
»Kate Daniels.«
Die Lasterplane regte sich, und eine schlanke Frau, eine Latina, kam zum Vorschein. Neben ihr sah ich eine schwarze Cheiroballista. Wie eine riesige Armbrust aufgebaut, war dieses Geschütz sehr zielgenau und hatte eine enorme Durchschlagskraft. Aus der Nähe konnten die damit verschossenen Bolzen sogar Fahrzeugtüren durchschlagen. Die Frau blickte mit strenger Miene zu mir herüber. Ihrem Blick sah man an, dass das Leben alle Sanftheit aus ihr herausgeprügelt hatte.
Ich hielt ihrem Blick stand. »Ich würde für diese Information bezahlen.«
»Hundert.«
Ich gab Custer zwei Fünfziger. Eigentlich hatte ich damit meine Telefonrechnung begleichen wollen.
»Wagen dreiundzwanzig«, sagte er. »Das ist der Gelbe. Hier links entlang, dann die Erste rechts.«
»Wenn ich irgendwas mitnehmen muss, schreibe ich eine Quittung aus.«
»Klärt das unter euch. Wir wollen hier mit dem Orden nichts zu tun haben.«
Ich hielt den beiden noch einen Zwanziger hin. »Wissen Sie irgendwas über Esmeralda?«
Die Frau nickte. »Sie ist machthungrig. Und jagt den Leuten gern Angst ein. Soweit ich weiß, wollte sie einem der älteren Zirkel beitreten, hat sich aber zu sehr aufgespielt und versucht, die Leitung an sich zu reißen. Schließlich haben sie sie rausgeschmissen. Seitdem hat sie immer wieder gedroht, sie würde es ›allen zeigen‹. Das Letzte, was ich von ihr gehört hab, war, dass sie einen eigenen Zirkel gegründet hat. Keine Ahnung, wie sie das hingekriegt hat, sie ist nämlich wirklich nicht allzu beliebt.«
Sie nahm den Zwanziger und verschwand wieder hinter der Plane.
Custer warf mir einen Knäuel Kupferkabel zu.
»Damit finden Sie wieder zurück. Hier ändert sich ständig was. Ab und zu kommen Typen von der Uni, die das ›Phänomen‹ studieren wollen. Die gehen da rein und kommen nie wieder raus. Manchmal hört man sie rufen, aus den Wänden. Sie suchen nach einem Weg zurück aus dem Draußen .«
»Habt ihr mal versucht, sie zu finden?«
»Das ist die falsche Frage.« Custer grinste, und der
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