Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
sie das Kind eines Tiers ist?«
»Nein. Wieso sollte es? Also, was ist mit Julie geschehen?«
Die Boudas sahen Tante B an. Und Tante B sah mich an. »Der Kode besagt, dass wir zuallererst Menschen sind. Wir werden als Menschen geboren, und wir sterben als Menschen. Das ist unsere natürliche und dominante Gestalt. Wir müssen dieser Gestalt Geltung verschaffen und sie über die Tiergestalt stellen.«
»Die Tiernachfahren werden als Tiere geboren«, sagte Andrea leise. »Dementsprechend ist das Tier unsere natürliche Gestalt, doch während wir heranwachsen, verlieren wir die Fähigkeit, wieder zum Tier zu werden, denn wir sind Hybriden. Daher bin ich also ein Tier, das einen Geburtsfehler hat. Etwas Widernatürliches.«
Also, jetzt hatte ich aber gleich die Faxen dicke. »Andrea, du bist meine Freundin. Und von der Sorte habe ich nicht allzu viele. Wie du geboren wurdest, wie du aussiehst und was irgendwelche Leute davon halten, spielt für mich überhaupt keine Rolle. Als ich Hilfe brauchte, hast du mir geholfen, und das ist das Einzige, was für mich zählt. Könntest du mir also bitte, bitte jetzt erzählen, was mit meinem kleinen Mädchen passiert ist?«
Andrea zuckte mit der Nase. Ein nervöses Gelächter brach aus ihr hervor, doch sie zügelte es. »Ein obdachloser Junge kam in den Keller.«
»Red.«
»Ja. Julie sagte, er wäre ihr Freund. Er war mit Blut beschmiert und ist vor der Tür zusammengebrochen. Julie ist hysterisch geworden. Ich habe die Tür aufgemacht, und da hat er irgendein Pulver nach mir geschleudert.« Sie runzelte die Stirn und entblößte weiße Zähne. »Ich hatte ein Schamanenamulett im Schädel eingepflanzt, damit ich während eines Flairs nicht die Gestalt wandele. Normalerweise habe ich damit keine Probleme, nur wenn die Magie so stark wird. Was auch immer er da getan ha t … « Sie hob die Hände. »Es hat dieses Amulett teilweise außer Kraft gesetzt. Ich fing an, mich zu verwandeln, aber ich wurde nicht damit fertig. Und er hat sich Julie geschnappt und sie aus dem Keller gezerrt.«
Ich wurde immer wütender auf Red.
»Dein Schwert raucht«, sagte das Boudaweibchen.
»Ja, das tut es manchmal.«
Dieser kleine Scheißer. Was zum Teufel hatte er vor? Und wo sollte ich nach den beiden suchen? In dieser Stadt gab es unzählige Orte, an denen sich zwei Straßenkinder verstecken konnten. Die Chancen standen zehn Millionen zu eins, dass die Kampfschnepfen die beiden vor mir fanden.
Tante B beugte sich vor. »Es ist ein alter Brauch, dass Tiernachfahren gleich nach der Geburt getötet werden. Wenn einer der älteren Gestaltwandler erfährt, dass sie hier ist, steht im Handumdrehen ein Lynchmob bei mir auf der Matte.«
Das Boudamännchen leckte sich die Lippen. »Das könnte doch ganz spaßig werden.«
Tante B beugte sich hinüber und verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf.
»Aua.«
»Ist das eine von Currans Katzen da vor meiner Tür?«
»Ja.«
»Mittlerweile hat er Andreas Witterung aufgenommen und wird es melden. Du musst Curran irgendetwas erzählen. Und es wäre besser, wenn du bei der Wahrheit bliebest.«
»Ich werde es in Erwägung ziehen«, sagte ich und machte mich auf.
Kapitel 20
C urrans Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Es war blond, wunderschön gewellt und umrahmte sein Gesicht wie eine Mähne. Er saß in einem Raum in der Festung des Rudels und las im Lichtkegel einer kleinen elektrischen Lampe in einem ramponierten Taschenbuch. Und er sah nicht auf, als Jim mich in den Raum schob und hinter mir die Tür schloss.
Nun war ich mit dem Herrn der Bestien allein. Und durch das offen stehende Fenster drang die Nacht herein.
Jim hatte unterwegs kein Wort mit mir gesprochen. Ich bewegte mich offenkundig auf dünnem Eis.
»Was ist denn mit deinem Haar?«
Curran hob widerwillig den Blick aus dem Buch und verzog das Gesicht. »Das wächst bei einem Flair immer wie verrückt. Kann man nichts dagegen machen.«
Wir starrten einander an. »Los, sag’s schon. Ich sehe aus wie Fabio Lanzoni«, sagte er.
Die Erschöpfung packte mich anfallartig. Als ich den Mund aufmachte, klang meine Stimme ganz ermattet. »Ich habe eine verletzte Tiernachfahrin zum Haus der Bouda gebracht. Sie ist eine Freundin von mir. Wenn du sie töten willst, musst du vorher erst mich umbringen.«
Er schloss die Augen, fuhr sich mit der Hand darüber und rieb sich dann das Gesicht. Ich setzte mich auf einen Stuhl und hielt den Mund.
»Wieso ausgerechnet ich?«, fragte er schließlich.
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