Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
Gedanken. Kälte biss in meine Finger.
Ich lasse das Böse eintreten.
Oh nein!
Die Worte schienen mich finster anzustarren. Ich lasse das Böse eintreten.
Nein, das wirst du nicht tun! Jetzt wusste ich es wieder. Der Text war ein Teil eines uralten babylonischen Epos, das als Amulett gegen einen Mann diente, der einst als Gott der Seuchen verehrt wurde. Er überzog die antike Welt mit Furcht und Schrecken und dezimierte die Völker durch Epidemien. Sein Zorn war das Chaos, seine Launen waren das Feuer, und die alten Babylonier fürchteten ihn so sehr, dass sie es nicht wagten, einen Tempel für ihn zu errichten.
Ich hatte alles über ihn gelesen, als ich zehn Jahre alt gewesen war. Sein Name war Erra.
Aber die Steel Mary war eine Frau. Ich war mir absolut, eindeutig, hundertprozentig sicher, dass es eine Frau war. Ich hatte sie mit eigenen Augen gesehen. Mit zwei Metern eine ungewöhnlich große Frau, aber unverkennbar eine Frau. Ich hatte ein rundes Loch, und das Universum konnte mich noch so sehr dazu drängen, einen eckigen Stift hineinzuschieben, es passte trotzdem nicht zusammen.
Die Fühler zogen sich kringelnd zum Kreis zurück. Die Schriftrolle spannte sich und löste sich dann in einer Wolke aus glühenden Funken auf. Das Pergamentstück, das nun wieder alt und unbeschrieben aussah, landete in meiner Hand. Die Macht des Kreises verflüchtigte sich, und ich fiel auf den Steinboden.
Die Tür glitt auf, und ich sah Peters blasses Gesicht. Er keuchte und rang nach Atem. »Wir werden angegriffen.«
Kapitel 20
I ch stürmte mit Höchstgeschwindigkeit durch die Korridore der Synagoge. Peter rannte an meiner Seite.
»Was soll das heißen, es gibt keine Möglichkeit, die Magie des Kreises zu verbergen? Sie haben doch gesagt, dass sie seine Existenz geheim halten!«
Er schnaufte. »Die genaueren Einzelheiten sind geheim. Nicht die Macht des Kreises. Die Macht Gottes darf nicht versteckt werden. Das Licht des Wissens muss durchscheinen.«
Sie schien tatsächlich durch. Sie schien so hell, dass Steel Mary das Pergament gespürt und ihre Kavallerie geschickt hatte, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Ein Schlag erschütterte die Wände des alten Gebäudes. Ich hetzte die Treppe hinauf, dann durch den Gang und zur Vorderseite. Mehrere Leute standen auf den Stufen vor der Tür.
Auf dem schneebedeckten Rasen hielt ein über eins achtzig großer Mann einen Golem am Bein fest. Er riss den Golem hoch, schwang ihn herum und knallte ihn dann auf den Boden, wodurch eine Wolke aus Schnee aufgewirbelt wurde. Der Golem schlitterte ein Stück, rappelte sich auf und hastete davon. Er sprang über die Trümmer seines Zwillings hinweg. Rund um den Tempel lagen zerstörte Tonkörper. Mindestens zehn, wenn nicht mehr. Es sah aus wie ein Kriegsschauplatz, auf dem nur eine Seite Opfer zu beklagen hatte.
Eine rubinrote Aura umgab den Mann und zeichnete sich hell leuchtend vor dem weißen Schnee ab. Die Sonne war ein blasser Schein hinter den Wolken. Es war kurz vor fünf, und bald würde die Nacht anbrechen. Ich wollte nicht im Dunkeln gegen ihn kämpfen.
»Ist er allein?«
Niemand antwortete.
»Ist er allein gekommen?«
»Ja.« Rabbi Weiss schob sich in mein Sichtfeld. »Was stand auf dem Pergament? Wer ist er?«
Das willst du nicht wissen. »Im alten Babylon gab es einen Gott namens Erra, der auch als Nergal bekannt war. Er war der Gott der Seuchen und des Chaos.« Und der Furcht.
Nur dass er gar kein richtiger Gott war. Mir wäre ein Gott lieber gewesen, aber Erra war etwas viel, viel Schlimmeres.
Ein weiterer Golem kam aus dem Hintergrund herangestürmt und warf seinen Speer nach dem Mann. Doch der schlug ihn einfach zur Seite.
»Erra hatte sieben Krieger zu seiner Verfügung.« Ich bewegte Slayer, um mich aufzuwärmen. »Dunkelheit, Brand, Bestie, Beben, Sturm, Flut und Gift. Flut ist tot. Der Herr der Bestien hat ihn vor drei Tagen getötet.«
Der Golem griff den roten Mann direkt an und bäumte sich auf, um mit den gehuften Füßen zuzutreten.
Ich beobachtete die Auseinandersetzung. »Dies müsste …«
Der Mann stampfte auf. Donner wie von einem kolossalen Schmiedehammer rollte durch den Hof. Der Boden riss auf. Der Mann packte den Golem und schleuderte ihn in das sich öffnete Loch. Das Geschöpf versank bis zu den Hüften darin, während es immer noch um sich trat. Der Mann holte mit der großen Faust aus und versetzte dem Brustbein des Golems einen Schlag. Der Lehmkörper zerbrach wie eine Eierschale.
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