Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis
er dieses leere Gehirn ohne Schwierigkeiten kontrollieren konnte. Er konnte durch Esaus Mund sprechen und hören, was der Untote hörte. Zahllose Möglichkeiten kamen Roland in den Sinn, und er entschied, dass es für ihn am praktischsten wäre, wenn die Leute dachten, dass Esau ihn ermordet hatte. Er kleidete die Kreatur, die einmal sein Urenkel gewesen war, in den magischen Anzug, den Esau hatte rauben wollen, und schickte den Untoten zu seiner Familie zurück. Er steuerte seine Bewegungen und ließ ihn wilde Geschichten über seinen eigenen Tod erzählen. Er benutzte Esau dazu, Abes Nomaden zu peinigen. Er wollte Abe und all seine Nachkommen vernichten.
Schließlich wuchsen Esau Reißzähne, und er entwickelte einen schrecklichen Durst nach Blut. Jahre später unterzog der einstige König diese Zähne einem Test. Er lockte Esaus Bruder unter dem Vorwand versöhnlicher Absichten zu einem Treffen, dann setzte er den ganzen Zorn des Untoten gegen Jakob frei. Er machte, dass Esau die Zähne in den Hals seines Bruders schlug. Jakob trug jedoch eine Elfenbeinkette, und Esau gelang es nicht, Jakobs Halsschlagader aufzureißen.
Mit der Zeit veränderte sich Esaus Körper. Ihm wuchsen Krallen. Das Haar fiel ihm aus. Sein Körper magerte ab, und er kroch wie ein Tier auf allen vieren herum. Roland schickte ihn in eine Höhle, in der die Leichen seiner Vorfahren und seiner Kinder beigesetzt waren. Hungrig streifte der erste Vampir durch die Höhle, bis ein tapferer Mann ihn endlich von seinem Leid erlöste.
Das war die wahre Geschichte vom ersten Vampir.« Ich stand auf. »Obwohl sie eigentlich gar nicht so geheim ist. Ein Nachhall davon findet sich in der Bibel und in den Schriften jüdischer Gelehrter. Abe ist gestorben, genauso wie seine Kinder. Aber Roland lebt immer noch. Er hat sie alle überlebt, der alte Mistkerl. Er hat weitere Untote geschaffen, und er baut seine Macht aus, während er auf den Zeitpunkt wartet, sein Königreich wiederauferstehen zu lassen.«
Ich stach mir mit einem Wurfmesser in den Finger. Auf der Haut bildete sich ein kleiner roter Tropfen. Ich beugte mich zum Golem vor und flüsterte so leise, dass ich mich selbst kaum hörte: »Und auch sein Blut lebt weiter.«
Ich berührte die Brust des Golems mit dem blutigen Finger. Er wankte zurück, als hätte er einen Schlag erhalten. Stein knirschte, Staub wirbelte auf. Der Golem fuhr herum, ging zur Tür, packte die Steinplatte mit einer riesigen Hand und schob sie zur Seite. Dahinter wurde ein dunkler Raum sichtbar.
Ich schritt an ihm vorbei in die Finsternis. Als ich hindurch war, glitt die Steintür wieder zu.
*
An den Wänden flammten hellblaue Lichter auf. Ich zählte sie. Zwölf. Sie pulsierten, verblassten und brannten dann immer heller, bis sie schließlich den Boden vor mir erleuchteten. Ich sah zwei Kreise, die in den Stein geritzt waren, der erste zwei Meter im Durchmesser, der zweite einen halben Meter größer. Zwölf steinerne Säulen umgaben den Kreis, jede anderthalb Meter hoch. Auf jeder stand ein gläserner Würfel, in dem sich eine Sefirot befand, eine Schriftrolle.
Ich näherte mich dem Kreis. Magie pulsierte wie ein starker unsichtbarer Strom zwischen den Schriftrollen. Ein Wehrzauber, und zwar ein sehr mächtiger. Durch einen Wehrzauber konnte etwas geschützt oder eingedämmt werden. Wenn ich in den Kreis trat, musste ich damit rechnen, dass sich im Zentrum etwas Unheimliches manifestierte, das mich wie eine saftige Orange ausquetschte.
Ich zog Slayer aus der Scheide und ging um die Kreise herum. Keine geheimnisvollen Runen an den Wänden, keine Anweisungen, keine Warnungen. Nur das schwache blaue Licht der Laterne, die Schriftrollen in ihren durchsichtigen Behältern und der Doppelkreis am Boden.
Nachdem ich es endlich bis hierher geschafft hatte, gab es für mich nun kein Zurück mehr.
Ich klemmte mir Slayer unter den Arm, zog das Pergament aus der Plastikhülle und trat in den Kreis.
An der Stelle, wo ich die Linie überschritten hatte, flammte ein silbernes Licht auf. Es raste am Kreisumfang entlang und ließ ihn aufleuchten. Magie waberte zwischen den Schriftrollen. Eine Wand aus silbernem Leuchten stieg empor und riegelte mich von der Außenwelt ab. Jetzt musste sich nur noch irgendeine schreckliche Kreatur manifestieren, die mich fressen wollte.
Liebe Rabbis, es tut mir furchtbar leid, aber ich habe euer Tempelmonster erledigt. Hier ist sein Kopf als Souvenir. Ja, damit würde ich bestimmt gut ankommen.
Mit
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