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Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
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knappen Meter von mir entfernt.
    Ich blickte ihm in die Augen. »Lass mich in den Kreis eintreten, dann werde ich dir die Geschichte des ersten Vampirs erzählen.«
    Hinter mir raschelte Kleidung, als sich die beiden Rabbis auf die Steinbank setzten.
    Ich nahm einen Stock und stocherte damit im Feuer herum. »Vor langer Zeit lebte ein großer Mann, ein Denker, ein Philosoph und ein Magier. Nennen wir ihn Roland. Einst verfügte er über ein Königreich, das mächtigste Königreich der Welt, ein Land voller Wunder und Magie. Seine Vorfahren führten ihr Volk aus der Wildheit in ein Zeitalter des Wohlstands und der Aufklärung, und er war sehr stolz auf das, was seine Familie geleistet hatte.
    Roland hatte viele Kinder, denn er hatte sehr lange gelebt, aber sein Lieblingskind war sein jüngster Sohn. Nennen wir ihn Abe. Zu jener Zeit war er Rolands einziges Kind. Dazu muss man wissen, dass Roland die Angewohnheit hatte, seine Kinder zu töten, wenn sie gegen ihn aufbegehrten. Deshalb war Abe als Einziger übrig geblieben.
    Alles lief wunderbar, aber irgendwann hatte das Volk des Königreichs es mit der Magie übertrieben. Das Gleichgewicht zwischen Magie und Technik war gestört. Als die Technik kam, unterbrach sie den Fluss der Magie. Die technischen Wellen suchten Rolands Königreich heim und zerrissen es, wie unsere heutige Welt von der Magie zerstört wird. Er hoffte darauf, dass sein Sohn ihn unterstützte. Abe jedoch witterte eine Chance, seine Freiheit zu gewinnen. Im Chaos der Technikwogen verriet Abe seinen Vater und kämpfte gegen ihn um die Macht. Der Krieg zwischen den beiden riss das Königreich völlig auseinander. Abe verlor und zog mit seinen Anhängern in die Wildnis. Er verkündete, dass er sein eigenes Reich gründen wollte, das viel größer sein würde als das gestürzte Königreich seines Vaters.
    Schließlich ließ Roland sein Volk im Stich. Das mächtige Königreich war untergegangen, und sein Herrscher hatte alles verloren. Er verbarg sich vor der Welt, lebte als Einsiedler auf einem Berg und verbrachte seine Tage mit Meditation.
    Unterdessen wurde Abes Nomadenreich immer größer. Sein Volk verlor den größten Teil seines früheren Wissens. Philosophie und komplizierte Magie waren nicht mehr von Bedeutung – es ging nur noch ums Überleben. Abe hatte einen Sohn, und dieser Sohn hatte zwei Söhne. Nennen wir sie Esau und Jakob. Esau war der ältere. Er rühmte sich, ein großer Krieger zu sein, der Menschen und Tiere jagte. In Wirklichkeit war Esau ein Raufbold, aber er war stärker und mächtiger als gewöhnliche Raufbolde, und das nutzte er weidlich aus.
    Die älteren Nomaden erzählten Geschichten über die Wunder, die es in Rolands gestürztem Königreich gegeben hatte. Gerüchten zufolge hatte Roland, als er sich auf den Berg zurückzog, die Schätze seines Reichs mitgenommen. Unter diesen Schätzen befand sich auch ein Anzug, der aus der Haut einer mythischen Bestie gemacht und vom Duft eines verlorenen Tals durchdrungen war. Ein Jäger, der diesen Anzug trug, könnte jedes gewünschte Tier jagen und fangen. Als unternehmungslustiger Geselle beschloss Esau, diesen Anzug in seinen Besitz zu bringen. Was könnte irgendein Greis schon gegen ihn ausrichten? Also stellte Esau seine Ausrüstung zusammen und machte sich auf den Weg zu Rolands Berg.
    Versetzen wir uns in Rolands Lage. Er war ein Mann, der alles verloren hatte, und nun kreuzt sein Urenkel auf und will ihn ausrauben. Obendrein ist dieser Urenkel, Frucht seines eigenen Stammbaums, ein ignoranter Rüpel. Roland sah in Esau ein Spiegelbild des Schicksals, das sein Volk erlitten hatte – alles Wissen, alle großen Leistungen waren verloren, und es war wieder in die primitive Barbarei zurückgefallen.
    Roland sah rot, und Esau starb, bevor er auch nur einen Schlag anbringen konnte. Aber das genügte ihm noch nicht. Rolands Enttäuschung und Wut waren unermesslich. Er zürnte seinem Urenkel, seinem gestürzten Königreich, der ganzen Welt. Er wollte Esau noch einmal töten, also holte er ihn von der Schwelle des Todes zurück und ermordete ihn ein zweites Mal. Esau starb immer wieder, bis Roland schließlich innehielt, um Atem zu schöpfen. Da erkannte er, dass Esau tatsächlich gestorben war. Sein Körper war zurückgeblieben, aber sein Geist war tot. Stattdessen sah Roland eine geistlose Kreatur vor sich, die weder lebendig noch tot war. Ein Untoter mit völlig leerem Geist, wie ein weißes Blatt Papier.
    Roland stellte fest, dass

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