Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis

Titel: Stadt der Finsternis - Andrews, I: Stadt der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilona Andrews
Vom Netzwerk:
sein.«
    Im Büro packte ich meine braune Tüte aus. Auf dem Weg zur Arbeit hatte ich an einem Imbiss Halt gemacht. Es war ein ziemlich schäbiger Imbiss mit einem großen Schild, auf dem HUNGRIGER MANN stand, und einem mageren blonden Kerl als Geschäftsführer. Man musste schon kurz vor dem Hungertod stehen, wenn man sich aufraffte, dort einzukehren. Doch selbst dann wäre mir eine ungekochte Ratte vermutlich lieber. Allein der Geruch war dafür bekannt, einen unwiderstehlichen Fluchtreflex auszulösen. Doch der Hund hatte die Düfte, die vom Hungrigen Mann ausgingen, erstaunlicherweise als höchst verlockend empfunden, sodass ich ihm eine Tüte mit kleinen frittierten Dingern gekauft hatte, die angeblich Hush Puppies sein sollten.
    Ich griff in die Tüte, zog eins der runden Dinger heraus und warf es dem Pudel zu. Für einen Sekundenbruchteil öffneten sich große Kiefer, fingen den Hush Puppy auf und klappten wieder zu. Anscheinend war er schon längere Zeit herumgestreunt, weil er die zwei Regeln gelernt hatte, die alle Straßenköter kannten: Essen ist so kostbar, dass man es schnell verschlingen musste. Und man sollte sich den Trottel warmhalten, der einen fütterte.
    Ich faltete die Tüte wieder zusammen. Kate Daniels und ihr tödlicher Kampfpudel. Warum erschoss mich niemand? Julie, meine Adoptivnichte, würde jetzt ein Volksfest veranstalten. Es war gut, dass sie bis Thanksgiving in einem Internat war.
    Vielleicht hatte der Laden an der Ecke Langhaarschneider im Angebot.
    Ich warf mich hinter meinen Schreibtisch und breitete meine rosafarbenen Notizzettel auf der schartigen Oberfläche fächerförmig vor mir aus. In einer perfekten Welt hätte Joshuas riesenwüchsiger Mörder vor dem Amoklauf einen Monolog gehalten, in dem er laut und deutlich seinen Namen und Beruf nannte, zusammen mit seinem religiösen Bekenntnis, vorzugsweise mit Angaben zum Heimatland seines Gottes, seinen Wünschen, Träumen und Hoffnungen und der Adresse seines Unterschlupfs. Aber bisher hatte dem Atlanta der Nachwendezeit noch niemand Perfektion vorgeworfen.
    Der Mörder war mit großer Wahrscheinlichkeit Anhänger irgendeiner Gottheit, die mit Vorliebe Seuchen einsetzte, um seine oder ihre Schäfchen zu motivieren oder zu disziplinieren. Ein sehr mächtiger Anhänger, der die Fähigkeit besaß, die regenerative Kraft von Lyc-V auszuschalten, was nach herkömmlicher Meinung ziemlich unmöglich war. Offensichtlich hatte sich die herkömmliche Meinung wieder einmal getäuscht.
    Natürlich konnte der Killer auch irgendein Psychopath sein, der glaubte, dass alle Krankheiten göttlichen Ursprungs waren, und Spaß daran hatte, in seiner Freizeit andere Leute zu infizieren. Ich neigte der ersten Theorie zu. Der Mann hatte es gezielt auf Joshua abgesehen, er hatte ihn auf sehr ungewöhnliche Art getötet, und er war, nachdem er sein Werk vollbracht hatte, einfach davonspaziert. Er war nicht geblieben, um sich an den Reaktionen zu weiden. All das ließ irgendeine Methode, eine bestimmte Absicht hinter seinem Wahnsinn vermuten.
    Warum hatte er eine Schlägerei angefangen? Wenn er Joshua wollte, hätte er ihm an irgendeiner einsamen Straße auflauern können, statt in einer Bar voller kräftiger Kerle Ärger zu machen. Warum war er das Risiko eingegangen, dass er oder Joshua verletzt wurden? War das eine Art Botschaft? Oder hielt er sich für einen unglaublich harten Typen?
    Die einzige Spur, die ich hatte, war die Verbindung zwischen der Seuche und dem religiösen Aspekt. Ich zog einen Zettel aus der Schublade und nahm einen Stapel Bücher vom Regal. Ich brauchte ein paar mehr Hintergrundinformationen, bevor ich die Anrufliste abarbeitete.
    *
    Zwei Stunden später hatte meine Liste von Gottheiten, die in Verbindung zu Krankheiten standen, ungeahnte Ausmaße angenommen. In Griechenland hatten sowohl Apoll als auch seine Schwester Artemis Menschen mit ihren Pfeilen infiziert. Ebenfalls aus Hellas stammten die Nosoi, Dämonen der Pestilenz, Seuchen und schwerer Krankheiten, die aus der Büchse der Pandora entwichen waren. In diesem Mythos waren die Nosoi stumm, und der große Unbekannte hatte eindeutig gesprochen, aber ich hatte gelernt, Mythen nicht als Evangelium zu sehen.
    Die Liste ließ sich nahezu beliebig fortsetzen. Jedes Mal, wenn ein Mensch in der Antike einen Fehler beging, stand ein Gott bereit, um ihn mit den schrecklichsten Gebrechen zu bestrafen. Kali, die hinduistische Göttin des Todes, war gleichzeitig die Göttin der

Weitere Kostenlose Bücher