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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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hielt.
    Wir blieben nicht lange in seiner provinziellen Universitätsstadt. Er erklärte, er würde mir folgen und mich bedrängen, bis ich nachgäbe und ihn mitnähme – ich wisse schon, wohin. Ich glaubte nichtsdavon, doch als ich meinen nächsten Auftrag erhielt, buchte er als Passagier die Überfahrt.
    Sobald wir auf der Reise in seichtem, ruhigem Immer waren, holte ich Scile aus seinem Tiefschlaf, damit er eine Schule von Immer-Beutegreifern sehen konnte, die wir Hai nannten. Ich habe mit Kapitänen und Wissenschaftlern gesprochen, die nicht glauben, dass es sich bei ihnen um irgendwie lebendige Wesen handelt. Sie halten es für bloße Anhäufungen des Immer, und die Angriffe und die präzisen Manöver wären demzufolge nur das Gedränge eines Immer-Chaos, in dem unsere Manchmal-Gehirne die tiefe Zufälligkeit einfach nicht erkennen können. Ich selbst denke von ihnen stets als Monster. Scile, gestärkt mit Drogen, und ich beobachteten, wie unsere Behauptungsangriffe das Immer erschütterten und die Hai –Schule davonhuschen ließen.
    Wo auch immer wir auftauchten, wo auch immer unser Fahrzeug etwas ablieferte oder aufnahm, meldete sich Scile bei örtlichen Bibliotheken an, nahm sich alte Forschungsarbeiten vor und begann mit seinem neuen Projekt. Dort, wo es Sehenswürdigkeiten gab, schauten wir sie uns an. Wir teilten die Betten miteinander, doch ziemlich rasch gaben wir den Sex auf.
    Überall, wo wir waren, lernte er Sprachen mit seiner grimmigen Konzentration: sogar Slang-Ausdrücke, wenn er bereits den formellen Wortschatz kannte. Ich war viel weiter gereist als er, doch ich sprach und las nur Englisch-Ubiq. Ich freute mich über seine Gesellschaft, vergnügte mich oft und war stets interessiert in seiner Gegenwart. Ich stellte ihn auf die Probe und übernahm Jobs, die uns auf einer einzigen Fahrt Hunderte von Stunden durch das Immer beförderten – nicht wirklich grausam lang, aber gleichwohl lang genug. Schließlich bestand er die Prüfung, entsprechend meiner eigenen unklaren emotionalen Maßstäbe, als ich begriff, dass ich nicht nur abwartete, ob er bliebe, sondern hoffte, er würde mich nicht verlassen.
    Wir trafen den Entschluss, dass wir auf Dagostin heiraten würden, und zwar in Charo-Stadt in Bremen, wohin ich meine kindlichen Briefe geschickt hatte. Ich sagte mir selbst – und das stimmte –, dass es für mich wichtig war, manchmal in meinem Hauptstadthafen aufzutauchen. Selbst bei dem schleppenden Tempo des Briefaustauschs zwischen den Welten war es Scile gelungen, mit lokalen Forschern zu korrespondieren; und ich, die nie eine Einzelgängerin war, pflegte Kontakte und die raschen, intensiven Freundschaften, die zwischen Immer-Eintauchern kommen und gehen. Daher wussten wir, dass wir ein akzeptables Umfeld vorfinden würden. Dort, in der Hauptstadt meines Landes, welche die meisten Botschaftsstädter niemals sahen, konnte ich mich bei der Gewerkschaft registrieren lassen, Ersparnisse auf mein Hauptkonto herunterladen und Nachrichten über die Rechtsprechung von Bremen sammeln. Die Wohnung, die ich besaß, befand sich in einem unmodernen, aber schönen Stadtteil. Rund um mein Haus sah ich nur selten irgendetwas ausgestattet mit der dummen Luxustechnik, die aus Botschaftsstadt eingeführt wurde.
    Wenn Scile gemäß dem einheimischen Gesetz verheiratet sein würde, wäre es für ihn leichter, irgendwelche Provinzen oder Besitztümer von Bremen zu besuchen. Lange Zeit antwortete ich auf seine mich belästigende Faszination – die niemals ein Scherz war, wie er zuerst vorgegeben hatte – mit der Information, dass ich keineswegs die Absicht hätte, nach Botschaftsstadt zurückzukehren. Doch ich glaube, als wir den Entschluss fassten zu heirateten, war ich bereit, ihm das Geschenk zu geben und ihn zu meiner ersten Heimat zu bringen.
    Es war nicht ganz unkompliziert: Bremen kontrollierte die Einreise zu einigen seiner Territorien fast so sorgfältig wie die Ausreise. Wir hatten die Absicht, in Botschaftsstadt von Bord zu gehen, und somit unterschrieb ich nicht nur einen Arbeitsvertrag für eine Handelsfahrt. Im Transithaus schickten mich verblüffte Beamte durch eine Kette von Instanzen nach oben. So etwas hatte ich erwartet. Dennoch war ich ein wenig überrascht, wie hoch die Abschiebung der Verantwortung ging – falls ich mit meiner Deutung der Büromöbel als Beweisstücke für diesen Vorgang nicht völlig danebenlag.
    »Sie wollen zurück nach Botschaftsstadt gehen?«, rief eine Frau aus,

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