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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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jedoch nichts mehr. Als eine Rückkehrerin konnte ich es mir erlauben, solche Fragen über Botschafter direkt zu stellen, so unpassend sie auch sein mochten. Aber ich konnte abschätzen, wie weit man in dieser Angelegenheit vorpreschen durfte und wann man es besser bleiben ließ.
    Ich habe keinen Zweifel, dass dies trügerisch war, doch ich hatte das Gefühl, als wäre ich aufgrund meiner Zeit im Außen schneller, besser im Sarkasmus und geistreicher geworden. Die Leute waren nett zu Scile und fasziniert von ihm. Und er war ebenfalls fasziniert. Er hatte sich bereits in mehreren Welten aufgehalten, doch er tauchte in Botschaftsstadt auf, als ob er durch eine Tür in einer Mauer treten würde. Er forschte. Unser Status war kein Geheimnis. Nonex-Hochzeiten wie die unsere waren zwar bekannt, jedoch selten in Botschaftsstadt, was uns einen besonderen Reiz verlieh. Immer noch verbrachten wir unsere Zeit meistens zusammen, doch dies nahm allmählich ab, als er seine eigenen Kreise ausdehnte.
    »Vorsichtig«, mahnte ich Scile nach einer Party, auf der ein Mann namens Ramir mit ihm geflirtet und Augmens eingesetzt hatte, um sein Gesicht entsprechend örtlicher Schönheitsvorstellungen provokativ erscheinen zu lassen. Mir war niemals bekannt gewesen, dass Scile Interesse an Männern zeigte, aber dennoch … Homosex war ein klein wenig illegal, erzählte ich ihm. Abgesehen von Botschaftern.
    »Was ist mit dieser Frau, Damier?«, erkundigte er sich.
    »Sie gehört zum Botschaftspersonal«, antwortete ich. »Wie dem auch sei, es ist nur ein kleines bisschen illegal.«
    »Wie reizend«, meinte er.
    »O ja, es ist einfach entzückend.«
    »Wissen sie also, dass du früher mit einer Frau verheiratet warst?«
    »Ich bin ins Außen gegangen, mein Geliebter«, erklärte ich. »Ich kann alles machen, was ich verdammt noch mal will.«
    Ich zeigte ihm, wo ich gespielt hatte. Wir gingen in Trid-Galerien und -Ausstellungen. Scile war fasziniert von den Landstreicher-Automa von Botschaftsstadt, den melancholisch wirkenden, bettelnden Maschinen. »Gehen sie jemals in die Stadt der Gastgeber?«, wollte er wissen. Das taten sie, doch selbst wenn er sie bedrängen könnte, wären ihre künstlichen Intellekte zu schwach, um es ihm zu beschreiben.
    Es war natürlich Sprache , weswegen er da war; aber er lief nicht mit Scheuklappen herum und übersah auch nicht andere Merkwürdigkeiten. Ariekenische Bio-Fabrikate verblüfften ihn. Bei den Häusern von Freunden starrte er wie ein Gutachter auf ihre quasi-lebendigen Artefakte, die architektonischen Filigranarbeiten, auf die medizinischen Optimierungen, Prothesen und dergleichen, die einige dieser Leute hatten. Mit mir stand er am Rande des äolischen Hauchs, auf Balkonen und Aussichtsbrücken, und beobachtete, wie die Herden von Kraftwerken und Fabriken grasten. Ja, er starrte die Stadt der Gastgeber an, wo Sprache war, doch er schaute ebenso auf die Stadt selbst. Einmal winkte er wie ein Junge, und obschon die weit entfernten Dinge uns nicht gesehen haben konnten, schien es, als ob eine Station als Antwort mit ihren Antennen zuckte.
    Nahe dem Herzen von Botschaftsstadt lag der Standort des ersten Archivs. Man hätte das Trümmerfeld wegräumen können, doch man hatte es so gelassen, wie es seit Lebzeiten gewesen war, seit das Gebäude vor über eineinhalb Megastunden zusammengestürzt war, vor mehr als einem halben Jahrhundert nach hiesiger Zeitrechnung. Unsere frühen Stadtplaner mussten gedacht haben, dass Menschen Ruinen benötigen. Manchmal kamen immer noch Kinder, so wie wir dies getan hatten, und in dem überwucherten Verfall tummelten sich Terre-Tiere und jene einheimischen Lebewesen, welche die Luft vertragen konnten, die wir einatmeten. Scile verbrachte lange Zeit damit, auch sie zu beobachten.
    »Was ist das?« Ein rotes affenartiges Ding mit einem Hundekopf und einem nach oben gerichteten Rohr.
    »Fuchs wird es genannt«, antwortete ich.
    »Wurde es künstlich verändert?«
    »Ich weiß nicht. Vor langer Zeit, wenn es so ist.«
    »Was ist das?«
    »Eine Dohle.« »Eine Stichling-Katze.« »Ein Hund.« »Irgendein einheimisches Tier, ich kenne seinen Namen nicht.«
    »Das ist nicht das, was wir einen Hund nennen, dort, wo ich herkomme«, erwiderte er dann. Oder er wiederholte behutsam die Namen, wie etwa: »Doh. Le.« Es waren unbekannte einheimische ariekenische Wesen, die ihn am meisten interessierten.
    Einmal verbrachten wir Stunden unter einer sehr heißen Sonne. Wir setzten uns,

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