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Stadt der Fremden

Titel: Stadt der Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Kedis-Troika – Farbzellen blinzelten in ihren Krausen –, und die femaskuline Sprecherin dankte ihm in ihrer seltsamen Ausdrucksweise und schüttelte seine Hand mit ihren zum Greifen geeigneten Genitalien.
    Er stellte sich dem Shur’asi-Ladenbesitzer vor, den wir unter dem Namen Gusty kannten – Scile nannte mir demonstrativ und mit sichtlichem Vergnügen seine wirkliche Namenskette –, und pflegte eine kurze Freundschaft mit ihm. Leute waren entzückt, sie beim Spazieren durch die Stadt zu sehen. Scile hielt gesellig einen Arm um Gustys Hauptstamm, dessen Flimmerhärchen im Schritttempo von Scile trippelten. Dabei tauschten die beiden Geschichten aus. »Du redest dauernd über das Immer«, sagte einmal Gusty. »Versuch, mit Wirbelantrieb zu reisen. Verdammt, das war eine Fahrt.« Ich konnte niemals erkennen, ob sein Geist wirklich so war wie der unsere, was allerdings die Form seiner Anekdoten vermuten ließ. Sicher war nur, dass er im Small Talk nach unserer Art seinen Part gut ausfüllenkonnte. Einmal imitierte er sogar das mangelhafte Englisch-Ubiq eines Kedis-Nachbarn in einem komplizierten Witz.
    Natürlich wollte Scile sich mit den Ariekei treffen. Es waren die Ariekei, die er in der Nacht studierte, wenn er aufhörte, gesellig zu sein. Sie waren es, die sich ihm entzogen.
    »Immer noch ist es so, dass ich fast nichts über sie herausfinden kann«, erklärte er. »Wie sie sind, was sie denken, was sie machen, wie sie arbeiten. Selbst das von Botschaftern geschriebene Zeug, in dem ihre Arbeit dargestellt wird, ihre … weiß du … ihre Interaktionen mit den Ariekei – es ist alles … unglaublich nichtssagend!« Er schaute mich an, als ob er etwas von mir wollte. »Sie wissen, was zu tun ist«, meinte er, »aber nicht, was es ist, das sie tun.«
    Ich brauchte einige Augenblicke, um aus seiner Klage schlau zu werden. »Es ist nicht die Aufgabe der Botschafter, die Gastgeber zu verstehen «, erwiderte ich schließlich.
    »Und wessen Aufgabe ist es?«
    »Sie zu verstehen ist die Aufgabe von niemandem.« Ich glaube, das war der Moment, als ich erstmals wirklich die Kluft zwischen uns erkannte.
    Inzwischen kannten wir Gharda, Kayliegh und andere, Botschaftspersonal und Leute, die ihnen nahestanden. Ich hatte mich mit Ehrsul angefreundet. Sie neckte mich wegen meines fehlenden Berufs (anders als die meisten Botschaftsstädter war sie mit dem Begriff »Floaker« vertraut, bevor ich ihn vorgestellt hatte), und ich neckte sie direkt im Gegenzug wegen des gleichen Mangels. Als Autom hatte Ehrsul weder Rechte noch Aufgaben. Soweit man wusste, hatte sie einen Besitzer gehabt, einen Siedler aus irgendeiner früheren Generation, der gestorben war, ohne ein Testament zu hinterlassen, und sie war nie das Eigentum von irgendjemand anderem geworden. Es gab Klauseln des Bergungs- und Güterrechts, durch die jemand theoretisch den Versuch unternehmen könnte, sie zu beanspruchen. Doch mittlerweile würde so etwas entsetzlich wirken.
    »Es ist bloß Turingware«, merkte Scile einmal an, als sie nicht da war, obschon er einräumte, dass diese besser war als das, was er bisher gesehen hatte. Er amüsierte sich über die Art und Weise, wie wir eineBeziehung mit ihr unterhielten. Ich mochte seine Einstellung nicht, doch er war so höflich zu ihr, als ob er sie für eine Person hielte, und so brach ich deswegen keinen Streit vom Zaun. Das einzige wirkliche Interesse an Ehrsul, das er jemals gezeigt hatte, war, als ihm in den Sinn kam, dass sie in der Lage sein würde, in die Stadt der Gastgeber zu gehen, weil sie nicht atmete. Ich sagte ihm später die Wahrheit: dass sie mir, als ich sie darüber gefragt hatte, die Antwort gegeben hatte, sie habe es niemals getan und würde es auch nie tun. Den Grund dafür kannte ich nicht, und angesichts der Art, wie sie es gesagt hatte, hatte ich auch nicht die Absicht, sie noch einmal zu fragen.
    Gelegentlich wurde sie gebeten, sich mit den künstlichen Bewusstseinen und den Automa von Botschaftsstadt zu beschäftigen, was sie in einen engen Kontakt mit dem Botschaftspersonal brachte. Wir waren oft auf denselben offiziellen Abendveranstaltungen. Ich war dort, weil die Botschaft auch für mich Verwendung hatte. Nur wenige Botschaftsmitarbeiter waren jemals in offizieller Angelegenheit nach Bremen gereist und wieder zurückgekehrt, und ich war in jüngerer Zeit draußen gewesen als jeder meiner Vorgesetzten. Ich war eine Informationsquelle und konnte ihnen von der neuesten Politik und Kultur

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